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Künstle, Karl
Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der Totentanz: nebst einem Exkurs über die Jakobslegende — Freiburg i. Br., 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.8277#0084
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V. DER TOTENTANZ UND DIE LEGENDE DER DREI

LEBENDEN UND DER DREI TOTEN.

1. DIE BISHERIGEN ANSCHAUUNGEN ÜBER DIE ENTSTEHUNG

DES TOTENTANZES.

A. DIE ERSTE ZUSAMMENFASSENDE BEHANDLUNG.

CB^is zum Jahre 1820 hat niemand das Problem des Totentanzes einer
«Jsa? eingehenden Untersuchung für würdig erachtet, und die gelegentlichen
Bemerkungen einzelner Historiker angesichts bestimmter Monumente verraten
eine vollständige Unkenntnis dieser mittelalterlichen Kulturerscheinung. In
Deutschland waren „Holbein" und „Totentanz" untrennbare Begriffe; in Frank-
reich glaubte man, daß der Totentanz seinen Ursprung in England habe *,
und in England meinte man, daß die erste Idee dazu in Deutschland ent-
standen sei2.

Die erste zusammenfassende Darstellung über Totentänze verdanken wir
J. D. Fiorillo, der in seiner „Geschichte der zeichnenden Künste in Deutsch-
land und den vereinigten Niederlanden"3 unserem Thema einen großen Ab-
schnitt widmet und eine Reihe von Mißverständnissen aufklärt. So hat Fio-
rillo zuerst erkannt, daß sich die Worte des Pariser Chronisten: „L'an 1424
fut faicte la dance macabre [maratre] aux Innocens et fut commencee environ
le mois d'aoust et achevee en Caresme en suivant"4, nicht auf ein Schauspiel,
sondern auf einen Gemäldezyklus beziehen. Von der irrtümlichen Meinung aus-
gehend, die bis auf die Gegenwart alle Forscher beherrscht, daß die Skelette,
die den einzelnen Lebenden beigegeben sind, jeweils der personifizierte Tod
seien, behauptet er, daß man im 13.—14. Jahrhundert darauf verfallen sei, den
Tod als Skelett darzustellen, um die Menschen zu schrecken; zur Erinnerung
an irgend eine große Sterblichkeit, die keinen Stand verschonte, hätte man
alsdann die Totentänze erfunden5. Der Gedanke, den Tod ein musikalisches
Instrument spielend oder in dem Bestreben darzustellen, jemanden zu einem
Tanze zu zwingen, scheint ihm eine Ursache zu haben, die sich in die mytho-
logischen, fabelhaften Zeiten verliere. Dabei lehnt er die Hypothese von
Ludwig Suhl ab, der schon im Jahre 1783 angesichts des Lübecker Toten-

1 So Felibien in seiner „Histoire de la
ville de Paris" zum Jahre 1424. Auch ganz
gelehrte Franzosen schrieben noch im Anfang
des 19. Jahrhunderts die Totentänze ihres
eigenen Landes Holbein zu (vgl. Peignot,
Recherches sur les danses des morts 83).

2 Stove, Survey of London 1599, S. 264

3 IV, Hannover 1820, 119—174.

4 Journal d'un bourgeois de Paris 1405 ii
1449, publ. par AI. Tuetey, Paris 1881,
203.

5 Fiorillo a. a. 0. 122—123.
 
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