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Küster, Erich
Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion — Gießen: Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker), 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.53302#0163
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Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion

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eine künstliche aus Gold)1 unter dem Gewand (διά κόλπου') durch-
zogen a, indem sie glaubten, daß der Schlangengott durch die
Geschlechtsteile in sie eingehe3. In der Prozession wurde
die κίστη, welche u. a. die heilige Schlange (όφις παρείας)
barg, mitgeführt.
Schlange als animalisches befruchtendes Element
Es ist schon längst erkannt worden, daß Schlange und
Phallos nach antiker Vorstellung mitunter dasselbe bedeutet4.
Bis in sehr frühe Zeiten läßt sich diese Vorstellung zurück-
verfolgen: der nach altem Volksglauben in Schlangengestalt
gedachte Erechtheus hatte seine Wohnung in einer κίστη im
ältesten großen Tempel der Akropolis; sein Kultsymbol war
ein hölzerner Phallos, der noch bis auf Pausanias’ Zeit in der
Lade aufbewahrt lag5 6; an dem uralten attischen Thesmo-
phorienfeste wurden, wie wir gesehen hatten, künstliche
Schlangen zusammen mit Phallen aus Brotteig in die χάσματα
geworfen, und in den Sabaziosmysterien hatten wir die Schlange
als Symbol der geschlechtlichen Vereinigung, des ιερός γάμος,
1 Arnob. adv. nat. V 21.
2 S. Gruppe, Handb. 55; Frazer Adonis, Attis, Osiris2 77; Farnell
Cults V 1909 Anm. 62 d u. e; Weinreich, Ant. Heilungsw. 93, dort auch
die übrige Literatur.
3 Der Glaube, daß der Gott oder Dämon in Schlangengestalt sich auf
diese Weise mit dem Weibe verbindet, ist auch sonst verbreitet: in dem
Schöpfungsmythus der Neuseeländer tötet Mani (Sonnengott) das erste Weib
der Schöpfung, die Göttin der Nacht, als er durch die Vagina in sie hinein-
kriecht: W. Foy, Arch. f. Rel.-Wiss. X 1907, 551; die verwandte Vorstellung,
daß die Menstruation Besessenheit einer Frau von einem bösen Dämon be-
deute, der in Schlangengestalt aus den Genitalien der Frau herauskriecht,
findet sich häufig; s. Ploß-Bartels, Das Weib9 514—18.
1 S. Rohde, Hermes XXI 1886, 124; Dieterich, Mithraslit. 123ff.;
Hepding, Attis 191, Anm. 6; Pringsheim, Arch. Beitr. z. Gesch. d. eleus.
Kultes, Diss. 1905, 59; Frickenhaus, Ath. Mitt. XXXIII 1908, 172; Harrison
Proleg.2 123. Daß die Schlange überall im Grunde genommen eine phal-
lische Bedeutung habe, behauptet mit ganz extremer Einseitigkeit C. St. Wake
Serpent-ivorship and Totemism, London 1888, 3 ff. im Anschluß an andere
engl. Gelehrte. Dies mag wohl für die Indier (s. C. F. Oldham The sun and
the serpent, London 1905) und andere asiat. Völker gelten (Fergusson Tree-
and Serpent-worship, London 1872), ist jedoch nicht zu verallgemeinern.
6 Frickenhaus aaO. 175.
 
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