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Küster, Erich
Die Schlange in der griechischen Kunst und Religion — Gießen: Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker), 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.53302#0164
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E. Küster

der Mysten mit dem Gotte kennen gelernt1. Durch die
Gleichsetzung von Schlange und Phallos im Volksglauben
wurde naturgemäß auch die zeugungsfähige Eigenschaft des
Phallos auf die Schlange übertragen. In diesem Zusammen-
hang verstehen wir auch die im Altertum geläufige Vor-
stellung, daß Frauen — besonders auch unfruchtbare2 — von
Schlangen geschwängert oder fruchtbar gemacht werden
konnten. Jedoch hatte die Vermählung der Frauen mit dem
Schlangengott anfänglich keinen anderen Zweck, als die Be-
fruchtung des Erdbodens durch eine äußerliche symbolische
Handlung zum Ausdruck zu bringen 3 4. Dieser Ritus verlor
jedoch bald durch Hinzutreten persönlicher, egoistischer Inter-
essen seinen ursprünglich agrarischen Charakter. Zu einer
veränderten Auffassung von der symbolischen Vereinigung
trug zunächst der aufkommende Glaube bei, daß die aus einer
solchen συνουσία hervorgehenden Kinder den übrigen Sterb-
lichen gegenüber eine bevorzugte Stellung einnähmen, die sie
zu Macht und Ehren befähigte1. So glaubten die Frauen,
die περί Λαίδών sich auf dem heiligen Boden des Asklepieions
in Epidauros zum Tempelschlafe niederlegten und in ihren

1 Andere Beispiele s. bei Gruppe, Gr. Myth. u. Bel.-gesch. 866,1.1171.
2 Vgl. Dittenberger Sylloge II 803, Z. 117 ff. 128 ff. Dali dieser
Glaube auch sonst verbreitet war, zeigt z. B. ein Ritus im indischen
Schlangenkult (Dulaure, Die Zeugung in Glauben, Sitten u. Bräuchen der
Völker 1908, 46). Die Frauen vertreten hier die Priester. Sie tragen an
das Ufer eines Teiches einen steinernen Lingam (= Priapus) zwischen zwei
Schlangen. Nachdem sie sich selbst gereinigt, waschen sie dieses Wahr-
zeichen, verbrennen vor ihm bestimmte Opferhölzer und bitten um Reich-
tümer, um zahlreiche Nachkommenschaft und langes Leben für ihre Männer. —
Auf mexikanischen Monumenten z. B. ist die Schlange als Symbol des
männlichen Zeugungsgliedes sehr häufig dargestellt.
3 Vgl. Frazer Adonis, Attis, Osiris2 1907, 59. 77; über die Symbol.
Hochzeit von Frauen mit chthonisehen Göttern fecunditatis causa s. Dümmler,
Philol. LVI 1897, 29 f. = Kl. Schriften II 236 f.
4 Die frühere griechische Sage wußte zwar auch von Sterblichen, die
einer Schlangengottheit entsprossen waren, z. B. den Nachkommen der von
Kadmos getöteten Schlange. Da hier aber keine sterbliche Frau genannt ist,
mit der der Schlangendämon sich begattete, so dürfen wir uns den Zeugungs-
vorgang wohl durch die Annahme erklären, daß man sieh den Schlangen-
gott mit der allerzeugenden Erdgöttin verbunden gedacht hat; vgl. oben 138.
 
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