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Küster, Jürgen
Spectaculum vitiorum: Studien zur Intentionalität und Geschichte des Nürnberger Schembartlaufes — Remscheid: Kierdorf-Verl., 1983

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.73509#0092
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1511 wird das gleiche Schaustück erneut zum Gegenstand des Nürn-
berger Umzugswagens. Diesmal jedoch sitzt auf dem Schwanz des
mehrköpfigen Lindwurms eine Figur, die in manchen Handschriften
als Mohr''', in anderen als Jungfrau bezeichnet wird und die
eine Fahne in der Hand trägt. Da es unklar ist, ob es sich um
eine bestimmte Person handelt, zumal sich die Schembartchroni sten
in ihrer Darstellung nicht einig sind, wird hier auf die Erörterung
der möglichen allegorischen Funktion verzichtet.Wir können jedoch
annehmen, die Figur auf dem Schwanz des Drachens bezeichne ihre
Zugehörigkeit zum Höllenkreis. Eine auffällige Parallele für die
Darstellung des Drachenrittes im Schembartlauf ist die Illustration
des 32. Kapitels der "Schelmenzunft" Thomas Murners. Gezeigt wird
13 eine mit Klauen und Hörnern ausgestattete Teufelsfigur mit einem
langen Schwanz, auf den ein Sünder gebunden ist, der auf diese
Weise der Höllenstrafe zugeführt wird. "Ich hab wol manchen Schel-
men funden/ Dem deüffel uff den schwantz gebunden,/ Der in wider
werigkeyt/ Dem deüffel puntniß zu hatt gse— t/ Und meynt, im wurde
nyrnmer baß, Byß das er by dem deüffel saß" . Die Standarte in
der Hand der Gestalt auf dem Schwanz des Drache^' könnte so
als Aufruf zur Nachfolge verständlich sein und damit in einer
Funktion, die beispielsweise aus der Kriegsführung bekannt war.
Die "Hölle" jedenfalls sollte den Teufel und seine Absicht zur Ver-
führung des Menschen sowie deren Folge, die ewige Verdammnis,ver-
sinnbildlichen. Ihre Funktion im Brauch erhält sie mit ihrer Ver-
nichtung, der symbolisch vollzogenen Überwindung des potentiellen
Paktes mit dem Bösen.

Der Kampf des Menschen mit dem Teufel in der Form eines Drachens
wurde auch in anderen geistlichen Spielen dargestellt. Belege aus
Wasserburg am Inn (1476) und Bozen (1483) ' sind die frühesten
Zeugnisse für das Mitführen von Drachen anläßlich der Fronleich-
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namsprozession am Ort . Die chronologische Reihenfolge der Be-
lege für das Umherziehen von Drachenfiguren im Brauch bestätigt
die Vorrangstellung Nürnbergs. Ob von hier aus die Tradition des
Drachenstiches im Brauchspiel entscheidend erneuert wurde, ist
jedoch unklar. Daß der feuerspeiende Lindwurm als Figur im Fest-
 
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