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YI. Die hellenische Kunst.
den Uebergang des Darius über den Bosporus (513), auf der von Man-
drokles erbauten Schiffbrücke darstellte.1 Darius war vorn auf einem
Thronsitze und das Heer im Hinübergehen abgebildet. Der Gegenstand
erscheint fremdartig neben den üblichen Gegenständen hellenischer Kunst;
er erinnert auffallend an die Darstellung historischer Ereignisse, welche
der älteren asiatischen Kunst eigen waren, und lässt hierin wiederum
und in eigener Weise einen Einfluss der letzteren voraussetzen. —
Yon der handwerklichen Yerwendung der Malerei auf Thongefässen
ist, bei der Hinweisung auf die fremden Einflüsse, welche bei der Ent-
wickelung der hellenischen Kunst wirksam waren, bereits die Rede ge-
wesen. Die Gefässe mit schwarzen Figuren auf rothem Grunde, welclie
vorzugsweise auf attischen Ursprung deuten, enthalten für das allgemeine
Kunstleben der Zeit, in Bezug auf Inhalt und Darstellung, eine Fülle von
Beispielen. Die Gegenstände sind Bcenen des ernsteren Götterdienstes
oder des heftigen bacchischen Cuitus, Darstellungen heroischer Thaten,
athletischer Uebungen. Der Btyl ist streng, die Geberde meist hastig
und gewaltsam. Einzelnes nähert sich jener Läuterung des Btyles, welche
in den attischen Bildwerken zu Tage tritt.
Z w e i t e P e r i o d e.
. Allgemeines.
Im zweiten Yiertel und gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts
beginnt die zweite Periode der ausgeprägt hellenischen Kunst, die ihrer
ersten grossen Blüthe. Es ist die Zeit der glänzenden nationalen Erhe-
bung, welche auf die Besiegung der persischen Macht folgte. Sie dauert
bis gegen den Schluss des Jahrhunderts, da in den Stürmen des pelo-
ponnesischen Krieges neue und tiefgreifende Yeränderungen des griechi-
schen Lebens, wie in der äusseren Machtstellung der Staaten so in der
geistigen Richtung des Yolkes, eintraten.
Das Bedingende für die künstlerisclie Thätigkeit dieser Periode, das
Wesentliche ihres künstlerischen Styles beruht in dem plastischen Ge-
setze, in derjenigen organisclien Durchbildung der Gestalt, durcli welche
sie von den Banden des architektonischen Gesetzes frei wird. Hierin
wird das Höchstvollendete geleistet; docli nicht ohne diejenige Ausschliess-
lichkeit, welche in den Bedingnissen des plastischen Gesetzes liegt. Ein
vollkommen entwickeltes, vollkommen harmonisches, in sich vollkommen
befriedigtes Leben darzustellen, erscheint fortan als die Hauptaufgabe des
Künstlers. Die Gestalt wird zum höchsten Begriff selbständigen Lebens;
sie geht über die Bedingtheit des Einzellebens hinaus; sie wird, die
Schranke individuellen Daseins überflügelnd, zum Repräsentanten der Gat-
tung, insbesondre jenes höchstgesteigerten Gattungsbegriffes, welcher sich
dem Hellenen in seinen menschgestalteten Göttern verkörpert. Sie hat
1 Herodot IY, 88.
YI. Die hellenische Kunst.
den Uebergang des Darius über den Bosporus (513), auf der von Man-
drokles erbauten Schiffbrücke darstellte.1 Darius war vorn auf einem
Thronsitze und das Heer im Hinübergehen abgebildet. Der Gegenstand
erscheint fremdartig neben den üblichen Gegenständen hellenischer Kunst;
er erinnert auffallend an die Darstellung historischer Ereignisse, welche
der älteren asiatischen Kunst eigen waren, und lässt hierin wiederum
und in eigener Weise einen Einfluss der letzteren voraussetzen. —
Yon der handwerklichen Yerwendung der Malerei auf Thongefässen
ist, bei der Hinweisung auf die fremden Einflüsse, welche bei der Ent-
wickelung der hellenischen Kunst wirksam waren, bereits die Rede ge-
wesen. Die Gefässe mit schwarzen Figuren auf rothem Grunde, welclie
vorzugsweise auf attischen Ursprung deuten, enthalten für das allgemeine
Kunstleben der Zeit, in Bezug auf Inhalt und Darstellung, eine Fülle von
Beispielen. Die Gegenstände sind Bcenen des ernsteren Götterdienstes
oder des heftigen bacchischen Cuitus, Darstellungen heroischer Thaten,
athletischer Uebungen. Der Btyl ist streng, die Geberde meist hastig
und gewaltsam. Einzelnes nähert sich jener Läuterung des Btyles, welche
in den attischen Bildwerken zu Tage tritt.
Z w e i t e P e r i o d e.
. Allgemeines.
Im zweiten Yiertel und gegen die Mitte des fünften Jahrhunderts
beginnt die zweite Periode der ausgeprägt hellenischen Kunst, die ihrer
ersten grossen Blüthe. Es ist die Zeit der glänzenden nationalen Erhe-
bung, welche auf die Besiegung der persischen Macht folgte. Sie dauert
bis gegen den Schluss des Jahrhunderts, da in den Stürmen des pelo-
ponnesischen Krieges neue und tiefgreifende Yeränderungen des griechi-
schen Lebens, wie in der äusseren Machtstellung der Staaten so in der
geistigen Richtung des Yolkes, eintraten.
Das Bedingende für die künstlerisclie Thätigkeit dieser Periode, das
Wesentliche ihres künstlerischen Styles beruht in dem plastischen Ge-
setze, in derjenigen organisclien Durchbildung der Gestalt, durcli welche
sie von den Banden des architektonischen Gesetzes frei wird. Hierin
wird das Höchstvollendete geleistet; docli nicht ohne diejenige Ausschliess-
lichkeit, welche in den Bedingnissen des plastischen Gesetzes liegt. Ein
vollkommen entwickeltes, vollkommen harmonisches, in sich vollkommen
befriedigtes Leben darzustellen, erscheint fortan als die Hauptaufgabe des
Künstlers. Die Gestalt wird zum höchsten Begriff selbständigen Lebens;
sie geht über die Bedingtheit des Einzellebens hinaus; sie wird, die
Schranke individuellen Daseins überflügelnd, zum Repräsentanten der Gat-
tung, insbesondre jenes höchstgesteigerten Gattungsbegriffes, welcher sich
dem Hellenen in seinen menschgestalteten Göttern verkörpert. Sie hat
1 Herodot IY, 88.