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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 50.1899-1900

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Haupt, Albrecht: Gedankenspäne zur neuen Bewegung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7134#0235
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Gedankenspäne zur neuen Bewegung.

36^. Exlibris von A. Weisgerber, München.

Es ist ja aber auch außerordentlich, wie un-
erhört Neues, und wie viel mau uns jetzt bietet.
Schon in der Manier und Darstellungsweise. Wenn
man früher von jedem Künstler eine bestimmte
Schulung der pand und des Auges voranssetzte und
verlangte, wenn seine Linien rein und seine Arbeit
sauber sein sollten, wie ein Kupferstich oder eine
Marmorarbeit, so erfand man das jetzt als hohle
Schale, als unwesentlich. Vielmehr siegte die Erkenntniß,
daß jeder Künstler eine eigene und persönliche Hand-
schrift schreibe, ehe er durch Schule und Lehrer künst-
lich derselben beraubt werde, und daß die übliche
Politur sehr vom Nebel sei. Man suchte das In-
dividuum in Gedanken und Form.

Wie hat es uns vor Jahren in Staunen ver-
setzt, so eine gewisse schlotterige Zeichenmanier,
etwa wie sie bei Oberländer in den Fliegenden
Blättern eben verständlich war, von namhaften
Künstlern für die ernstesten Sachen benutzt zu
sehen! Auch die langjährigen Studien aus des
kleinen Moritz Schreibheften waren in ihrer frischen
Natürlichkeit werthvolles Material, und im Gegen-
satz zu dem ebenso anspruchslosen Kate-Greenaway-
Stil erwuchs eine einfach natürliche Darstellungs-
weise, die durch ihre im besten Sinne kindliche
Frische wahrhaft erquickte. So war es für land-
schaftliche Darstellungen das Ei des Eolumbus,

unter großen Baumwollepaketen, deren Emballage,
wo nöthig, mit handgroßen Blättern bemalt war,
und welche dann auf Stangen gespießt erschienen,
zwischen sandpunktirten Wegen weite Flächen zu
zeichnen, deren Graswuchs durch einen unendlichen
Reichthum von dünnen Vertikalstrichen in der geist-
vollsten Weise, etwa der Oberfläche eines kurz-
geschorenen Knabenschädels ähnlich, versinnbildlicht
wurde. Eine andere Darstellung des Rasens ist
denn heute einfach unmöglich geworden.

So gelangte man zu ganz neuen Ergebnissen.
Für farbige Sachen hatte man in den Plakaten mit
ihren mosaikartigen Flächenzusammensetzungen, ihrer
mächtigen Wirkung bereits klassisch gewordene Vor-
bilder, und dazu kam schließlich noch die Schwarz-
Weiß-Kunst zunächst des rasch veralteten Valloton,
der viel zu sehr noch auf früheren Grundlagen fußt,
— sodann aber in Aubry Beardesley's genial-
leichenschänderischen Produktionen mit pautgout der
eigentliche Höhepunkt des nie Dagewesenen. Wie
es möglich geworden ist, daß diese ganz unbeschreib-
lichen sexuell-perversen Werke einen Höhepunkt des
Geschmackes bedeuten, begreift freilich mancher im
alten Sumpf steckende kleine Geist noch nicht, aber
für den wirklich Modernen sind in diesen Leistungen
Wegweiser in's 20. Jahrhundert erstanden, deren
Bedeutung nicht hoch genug zu schätzen ist. pat doch
der Künstler die Sprache seiner Zeit zu reden, und
sind doch Nervosität, pysterie und Neurasthenie zu
bestimmenden Faktoren unseres Geschmackes geworden.

Darum ist in der modernen ornamentalen Linie,
die die ewige Spirale nun abgelöst hat, eine wahr-
hafte That zu erblicken. Diese langen schlaffen Gefühls-

363. Exlibris von A. Weisgerber, München,

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