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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 55.1904-1905

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Kleine Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7198#0043
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39- Wappen

am neuen Nationalmuseum
in München.

Meine Nachrichten.

Nach Angaben von Gabriel
v. Seidl.

(Aufnahme nach dem Modell.)

wolle sie von dein Treiben und Jagen der Gegen-
wart nichts wissen; kaum daß sie — just an ihrem
tiefsten Punkt — dem Bahnhof ein Plätzchen für
eine Aopfstation gewährt hat. Von der anderwärts
grassierenden, von Muthesius so trefflich charakteri-
sierten „Bahnhofstraße" merkt man hier Nichts; ja
man ahnt da kaum eine Stadt von 23 000 Ein-
wohnern. Und wer dann auf der steilen Fahr-
straße sich der Barriera nähert, den scheint die
hohe, alte Stadtmauer erstaunt zu fragen: Was
willst du hier?

Eine gewisse Zurückgebliebenheit in Pandel und
Wandel hat Siena mit Pisa und Venedig gemein.
Die ungeheure Verschiebung der Verkehrs- und an-
derer Verhältnisse mußte die Ausschaltung dieser
Städte aus der Reihe der Führenden nach sich ziehen.
Gerade dieser Ausschaltung aber verdankt Siena die
vortreffliche Bewahrung seines eigenartigen Charak-
ters einer mittelalterlichen Großstadt; wo die belebten
Pauptstraßen von altehrwürdigen Steinpalästen be-
gleitet werden, deren pöhe das Vier- bis Sechsfache
der Straßenbreite beträgt, da versteht man erst recht
das Dichterwort von „der Straßen quetschender
Enge". Und welch einzig prächtigen Gegensatz da-
zu bildet dann z. B. der große halbkreisförmige
Platz, an dessen gerader, tiefer liegender Seite der
Palazzo Pubblieo, das alte Rathaus, trotz seiner
sechs Jahrhunderte trutzig und stolz in ungebrochener
Araftfülle sich erhebt, während daneben der zu-
gehörige Torre del Mangia in nicht zu überbietender
Schlankheit über fOO m hoch gleich einer Rakete
emporschießt, die ganze Stadt, selbst den auf dem
höchsten Punkt des Gemeinwesens errichteten Doin

überragend und so einen unvergleichlichen Fernblick
über die Hügel- und tälerreiche Stadt und Umgebung
gewährend!

Und eben diesen Palazzo Pubblico, dessen Paupt-
räume mit prächtigen und meist wohlerhaltenen
Fresken aus dem Jahrhundert geschmückt sind
— den aufdringlichen Fresken mit den Darstellungen
aus der neueren Geschichte Toskanas gönnen wir
keine so lange Dauer — hatte sich die Stadt als
Ausstellungslokal erkoren. Außerdem, daß er selbst
das fürnehmste Ausstellungsobjekt bildete, waren
etwa q.0 Säle und Zimmer gefüllt mit Werken
altsienesischer Run st — nicht in dem Sinne,
als ob nur Werke einheiinischer Uünstler Aufnahme
gefunden hätten, wenn diese auch die Mehrheit
bildeten; es galt vielmehr, eine Umschau zu halten
über die Schätze, die — außer den allgemein zu-
gänglichen — überhaupt noch in der Gegend vor-
handen sind.

Zn bezug auf die Malerei bot die Ausstel-
lung keine überraschenden Momente, wenn es auch
für den Aunstgefchichtler von großen: Interesse war,
von dem Umfang des vorhandenen Studienmaterials,
das von Duccio di Buoninfegna bis Sodoma und
Beccafumi reichte, Aenntnis zu erhalten. Vielleicht
war da sogar des Guten zu viel geschehen; die allzu
häufige Wiederkehr des altsieneser Madonnentypus
mit den fast schlitzartigen Augen, den langen Nasen,
den schmalen pänden und den dünnen Fingern
konnte auch ein genußwilliges Gemüt verstimmen.
Auch hinsichtlich der Bildhauerei, die überwiegend
durch Abgüsse oder allgemein zugängliche Mrigina-
lien vertreten war, bot die Ausstellung wenig

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