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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Damrich, Joh.: Hans Holbein
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0022
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des damaligen literarischen Deutschlands, den in
Humanistenkreisen geradezu vergötterten Eras -
mus von Rotterdam (Abb. 34) zu por-
trätieren, setzt er begreiflicherweise erst recht sein
ganzes Können daran. Seit einiger Zeit hatte
Erasmus seinen Wohnsitz in Basel aufgeschla-
gen, wo ihn der behaglich-feine Umgang mit
gleichgestimmten Seelen, einem Amerbach, Froben
u. a. festhielt, einem Freundeskreis,
in welchen auch Holbein eingetreten
war. Es war ein günstiges Geschick,
das den Künstler mit diesem weit-
hin einflußreichen Manne zusammen-
führte, und auch für die Nachwelt
ist es ein Gewinn, daß ein H olbein
das Bild dieses seltenen Mannes
schaffen durfte. Zwar haben wir
auch von Dürer ein mit unendlicher
Feinheit in Kupfer gestochenes Bild-
nis des großen Humanisten. Aber
man braucht beide Porträts nur zu
oergleichen, um sofort zu erkennen,
wie sehr auf diesem seinem ureigen-
sten Gebiete Holbein der Überlegenere
ist. Er zeigt uns den Mann in seiner
Studierstube in gelehrte Arbeit ver-
tieft. Wir empfindens: nicht einen
Mann der Tat haben wir vor uns,
sondern eine passive, in sich zurück-
gezogene, beschauliche Natur. Die
ausdrucksvollen Linien des scharfen
Profils erzählen von dem liebens-
würdigen Schöngeist, dem Freund
edler Geselligkeit, dem Meister des
eleganten Witzes. Das vornehm-
schlichte dunkle Gewand, die wohlge-
pflegten Hände ergänzen die Cha-
rakteristik und der gemusterte Vor-
hang zwingt die Blicke des Beschauers
immer wieder, sich auf die lichte
Fläche des Antlitzes zu konzentrieren.

Trotz aller scheinbaren Ruhe regt es
sich in diesem Bildnis von feinem
Leben. Wir meinen's zu sehen, wie
es in diesem Kopf arbeitet, der Ober-
körper sich in gespannter Aufmerk-
samkeit vorbeugt, ein vielsagendes
Lächeln — halb satirisch, halb Freude
am Gelingen — um die schmalen
Lippen spielt und die Finger unge-
duldig zucken, bereit, den eben sich
formenden Gedanken niederzuschreiben. Die Farbe
in ihrer diskreten Abtönung wirkt ungemein wohl-
tuend. Jn dem Erasmusporträt zeigt sich Hol-
bein zum erstenmal aus der vollen Höhe als Bild-
nismaler.

Ein ebenso wundervolles Stück Seelenma-
lerei ist auch das um die gleiche Zeit entstandene
Selbstporträt des Künstlers (s. Abb. 2).
Allerdings Dürers Selbstbildnis in der Münch-
ner Pinakothek ist großartiger, feierlicher. Aber
hier ist mehr unmittelbare, ungeschminkte Natur-

wahrheit. Keine Jdealisierung, keine Pose: Hol-
bein gibt sich ganz, wie er ist. Strotzend von
Gesundheit, aber eine etwas phlegmatische, vor-
nehm zurückhaltende Natur, steht er ungezwungen
vor uns da, seines eigenen Wertes, seiner Über-
legenheit über die große Menge wohl bewußt, ein
wenig Skeptiker, den Freuden der Welt keines-
wegs abhold, aber in allem — kühl bis ans Herz

hinan. Jn kühler Zurückhaltung steht Holbein
auch der gewaltigen religiösen Umwälzung gegen-
über, welche sich um diese Zeit in Deutschland an-
bahnt. Jn den leidenschaftlichen Kämpfen, wo-
rin sich der neue Glaube auch in Basel durchzu-
setzen sucht, gehört des Künstlers Sympathie wohl
eher denen, welche das alte Kirchentum befeh-
den. Allein er ist Diplomat genug, es mit keiner
von beiden Richtungen offen zu verderben, ist
überhaupt zu sehr Weltmensch, um von der rein
religiösen Seite des Streites tiefer berührt zu
 
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