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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Damrich, Joh.: Hans Holbein
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0028
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plastisch klar herausmodelliert und auch der Cha-
rakter des Mannes: eine echte, fast ängstlich ge-
wissenhaste Nathanaelsseele!

Des Meisters äußere Verhältnisse hatten sich
in England nicht ungünstig gestaltet, Anerken-
nung und Verdienst hatte er hier gefunden, sein
Ruf als Bildnismaler breitete sich zusehends aus.

llnd dennoch dachte Holbein nicht an ein Bleiben
in England. Mit dem im fremden Land verdienten
Sümmchenhofster vielmehr sich in der Heimat über
dieschlimmsteZeithinüberrettenzu können undnach
zweijähriger Abwesenheit ist er 1528 wieder in
Basel. Allein hier wartet auf ihn Enttäuschung
über Enttäuschung. Er selbst hat sich drüben an die
geistige Atmosphäre der aristokratischen Gesell-
schaftskreise gewohnt, die er dort zu porträtieren ge-
habt. Hier ist er wieder der von der großen

Menge wenig beachtete schlichte Bürger von Basel.
Und die religiösen Streitigkeiten hatten sich gegen
früher nur noch verschärft. Unerträglich eng und
nüchtern mochten ihm jetzt besonders seine häus-
lichen Verhältnisse vorkommen.

Wir glauben etwas von diesem inneren Kon-
flikt herauszufühlen aus demB ildnis seiner
Familie (Abb. 42), das
Holbein bald nach der Rück-
kehr in die Heimat — viel-
leicht mangels bezahlter
Austräge — geschaffen hat.
Die Gruppe ist im Dreieck
komponiert, die Anordnung
gemahnt an das Schema
italienischer Darstellungen
derMadonnamit dem Kinde
und dem kleinen St. Jo-
hanues. DieZügevonFrau
Elsbeth wecken eine fast
wehmütige Erinnerung an
das blühende junge Weib,
das Holbein einst als Ma-
donna von Solothurn ideali-
siert hatte. Freilich, nun
stnd Anmut und Jugend
dahin, und auch Holbein
selbst ist innerlich ein ande-
rer geworden, der mit nüch-
ternem, unerbittlichem Pin-
sel die poesielose Wirklich-
keit eiuer gealterten, geistig
unbedeutenden Bürgersfrau
schildert. Ein Hauch bitte-
rer, unsäglicher Tragik liegt
über dem Bildnis, sogar
etwas, wie persönliches Mit-
gefühl dcs Künstlers, ab er zu-
gleich das Geständnis: „von
dieser harmlosen Alltags-
natur trennt mich eine ganze
Welt!"

Abgesehen von ein paar
Arbeiten für den Buchdruck,
wollen sich keine Aufträge für
den Künstler einstellen. An
solcheeigentlichreligiöserArt
war schon gar nicht mehr zu
denken. Die Katholiken, da-
runter ein Meper, Erasmus
u. a. hatten sich längst aus
der Stadt geflüchtet, der zur
Macht gelangte neue Glaube wollte von religiö-
ser Kunst nichts wissen. Ja, ein Ratsbeschluß
verbietet geradezu alle Kirchenmalereien bei schwe-
rer Strafe und spricht davon, daß „Gott alle ver-
flucht habe, so Bilder machen". Trotzdem ist es
derselbe Baseler Rat, welcher Holbein noch einmal
einen Auftrag zukommen läßt. Die früher begon-
nene Ausmalungdes Großratsaales
mußte doch zum Abschluß gebracht werden, darmn
soll nun der Meister auch die bisher freige-

Abb. 38 (Text S. 23) Thomas Morc. Porträtskizze
 
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