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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0047
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I. Murillos Leben und künstlerische Entwicklung

Haben nicht in München oft
An der schnellen Jsar Strande
Deine Augen tränenreich
Heimwärts sich geivandt nach Spanien?

(Jacinto Verdogucr.)

Mit diesen Worten begrüßte ein Dichter der
Neuzeit eine bayerische Fürstin, über deren Wiege
sich das Blau des spanischen Himmels wölbte.
Die Akkorde leisen Heimwehs klingen in der Seele
jedes Kunstfreundes an, wenn er Sevillas gedenkt.
Die stolze Hauptstadt Andalustens, zu deren
Füßen der Guadal-
quivirseinengelben
Flutenteppich aus-
breitet, führt im
Wappenschilde den
berechtigten Wahl-
spruch: „siehatmich
nicht verlassen" (no
m'lla ciozaclo). Die
herrliche Kathedra-
le nennt sich einfach
die Ai'ancls, das
Meisterwerk der
christlichen Gotik
überhaupt. Der Al-
kazar und die Gi-
raldasind dieWahr-
zeichen Sevillas
aus arabischerZeit,
die zierlichen Pfad-
weiser nach der ar-
chitektonischenMär-
chenwelt von Cor-
dova und Granada.

Die beiden hervor-
ragendsten Maler
SpanienssindSöh-
ne dieserStadt: der
geniale Diego Ve-
lasquez und Barto-
lomo Estöban Mu-
rillo.Dieserhatsein
Heimatlandniever-
lassen, aber seine
Werke haben Euro-
paimTriumphzuge
durcheilt. Kaum ein
MeisterderFarbeist
ihm gleich der Lieb-
ling aller Volkskreise geworden. Jn den folgenden
Zeilen berühren wir das Leben und den künst-
lerischen Entwicklungsgang des Künstlers, um
seine Werke in ihrem inhaltlichen Zusammenhange
ins Auge fassen zu können. Dieses Vorgehen kann
in der Tatsache seine Entschuldigung finden, daß
die den Text begleitenden Bilder die Farbe der

Originale nicht wiedergeben. Die Kompositionen,
ihre Zeichnungen, Licht- und Schattenverteilung
können einzig berücksichtigt werden.

Am 1. Januar 1618 wurde in der Magda-
lenenkirche in Sevilla ein Knabe auf die Namen
Bartholomcius und Stephanus getauft, ein Kind
einfacher Leute. Gaspar Esteban Murillo und
Maria Perez waren seine Eltern. Als Pate
erscheint in der Taufurkunde Antonio Perez.
Frühzeitig mußte der letztere des Vaters Stelle
vertreten, denn am 8. Januar 1628 stand

der Waisenknabe
am Grabe seiner
Mutter, nachdem
er kurz vorher sei-
nen Vater verloren
hatte.

Ein Verwand-
ter, Juan Antonio
Lagares, nahm den
jungen Bartolomö
Esteban Murillo in
sein Haus auf. Lust
und Liebe zur
Kunst schlummer-
ten wohl als Wie-
gengabe in der
Seele des Knaben,
der im Alter von
zehn Jahren bei
dem Maler Juan
de Castillo (1548
bis 1640) in die
Lehre trat. Der
Meister sah in der
Nachahmung der
Jtalienerseinkünst-
lerisches Jdeal, da-
her seine Sorgfalt
iu derKomposition,
die tiefen Schat-
ten, um krästig zu
wirken, aber auch
der Mangel an
Wärme in den Far-
ben. Sein Haupt-
verdienst besteht
wohl eher dar-
in, daß er seinem
Lehrlinge des Le-
bens Not erleichterte. Castillos Atelier lieferte
die sLi'Auo, Malereien auf ungrundierter Lein-
wand, die zum Verhüllen der Kirchenbilder in
der heiligen Fastcnzeit dienten, als Fahnen
Verwendung fanden und wohl auch die Wände
der Paläste dekorierten. Murillo war der tätige
Gehilfe seines Lehrmeisters. Als dieser 1630

Abb. 3 (Tcxt S. 11) d>M. F. «ru-kum»»

Johnnncs der Täufer als Kind. Gcmäldegalcric. Wien.
 
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