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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0048
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nach Cadiz übersiedelte, stand sein Schüler in-
soweit auf eigenen Füßen, daß er sich den Unter-
halt selbst verdienen konnte. Allerdings war
ihm nur das Gebiet des rasch hingeworfenen
Andachtsbildes offen, das sowohl bei Einheimi-
schen als bei den Bilderhändlern sür die Kolo-
nien Abnahme fand.

Einen Wendepunkt im Leben unseres Künst-
lers bildet seine Ubersiedlung nach Madrid im
Jahre 1643. Einem seiner Mitschüler Pedro de
Moya (1610—1666) wird das Verdienst zuge-
schrieben, zu diesem
Wechsel die Anregung
gegeben zu haben. Die-
ser, als Künstler unbe-
deutend, hatte in Flan-
dern Van Dyks Schöp-
fungen kennen gelernt,
eilte selbstnach London,
um hier den bewun-
derten Maler persön-
lich kennen zu lernen.

Auf seiner Rückreise
nach Spanien hielt er
sich kurze Zeit in Se-
villa aus und begeisterte
den auf die Lieferung
von Marktwaren An-
gewiesenen zum Ver-
lassen seines bisherigen
Aufenthaltsortes. Die
äußere Veranlassung
mag sich in dieserWeise
vollzogen haben, wie
sie uns Bermudez, der
Verfasser des spani-
schen Künstlerlexikons,
schildert. Allein der
Drang nach weiterer
Ausbildung schlum-
merte unbedingt in der
Brust des reichbegab-
ten Kunstjüngers. Die
Vorzüge der Nieder-
länder in der Farbe
waren ihm längst be-
kannt. Denn die Kirchen
Sevillas warenMuseen
der Malerei, in denen die verschiedensten Schulen
bereits ihre Vertretung gefunden hatten. Jn
San Jsidoro besand sich das Gemälde: der Tod
des hl. Jsidor und in San Pedro dasjenige der
Befreiung des hl. Petrus, beide von Juan de las
Roelas (1560—1626), eines wahrscheinlich nieder-
ländischen Malers, in dessen weiche Zeichnung
und warme Farbengebung sich Murillo unstrZtig
schon vertieft hatte. Endlich stand der große
Sevillaner Velasquez damals in Madrid als
Hofmaler des Königs Philipp IV. auf der Höhe
seines Ruhmes. Von seinem Landsmanne durfte
der mit der Not des Lebens Kämpfende auf wohl-
wollende Aufnahme hoffen.

Jn glänzenden Farben schildert uns der
spanische Biograph Murillos, Francisco M. Tu-
bino, die fürstlichen Mäzenaten der Kunst des
Madrider Hoses und deren reichste Protektion.
Die größten Meister der Farbe: Tizian, Rubens,
Van Dyk. Ribera und vor allem Velasquez selbst
waren in Madrid und im Eskorial glänzend
vertreten. Velasquez hatte sein herrlichstes Ge-
mälde, die Übergabe der holländischen Festung
Breda an die Spanier eben vollendet. An An-
regungen konnte es dem jungen Künstler nicht

fehlen, und die Gele-
genheit zur Benützung
derselben verschaffte ihm
sein angesehener Mit-
bürger Velasquez, der
zu Murillo in einem
freundschaftlich wohl-
wollenden Verhältnis
stand.

SeitdemJahre1643
verdüsterten sich die po-
litischen Verhältnisse
Spaniens. Dem Auf-
stande in Katalonien
folgte der Abfall Por-
tugals, endlich der
Sturz des einflußrei-
chen Staatsmannes,
des Grafen Olivares,
der in die Verbannung
geschickt wurde. Müssen
>virunswundern,wenn
die dem öffentlichen Le-
ben fernstehende Ein-
fachheit und bürgerliche
Schlichtheit sich nach
der idyllischen Ruhe dcr
Heimat sehnte? Still
und unbekannt, wie er
Sevilla verlassen, kehrte
Murillo 1645 wieder
dahin zurück.

Werke aus den er-
sten 27 Lebensjahren
des Meisters sind nicht
mit Sicherheit nach-
zuweisen. Hingegen
ist die Anbetung der Hirten im Berliner Kaiser-
Friedrich-Museum (Abb. 52) für dessen Früh-
zeit sehr bezeichnend. Die in derbem Realis-
mus aufgefaßten Hirten, die starken Gegen-

sätze zwischen Licht und dunkeln Schatten wären
für den s8tilo Irlo, den kalten Stil, wie ihn die
Spanier nennen, bezeichnend, während das zarte
Kind und dessen nähere Umgebung bereits hoff-
nungsfrohe Himveise auf die Zukunft zeigen.

Ein glücklicher Zufall verschaffte Murillo in
seiner Vaterstadt den ersten Auftrag. Für das
olnnstro olrloo, den kleinen Kreuzgang des

größten Klosters Sevillas, für San Francisco,
sollten 11 Gemälde geliefert werden, von denen

Wb. 4 (Text S. 101 Phot. Franz Hansstacngl

Knabengruppe. Dullwich College, England.
 
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