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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0055
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Tochter. Den Schmuck der Ohren und des Klei-
dersaumes hat sie auch im Gefängnis nicht ge-
opfert. Die großen Augen und die welligen Lippen
des Mundes weisen auf mütterliche Sorgen hin,
die selbst die Leiden des Kerkers freiwillig über-
nommen haben, um ihr Kiud zu retten.

Das genaueVerzeichnis der GenrebilderMuril-
los, wie es der Engländer Curtis zusammeugestellt
hat, kennt 4ö
Nummern, unter
deneu die Groß-
zahl junge Bett-
ler, einzeln, zu
zweienoderdreien
vereinigt, dar-
stellt. Man hat
darauf hingewie-
sen, daß diese
sonnverbrannte
Schar„aufgemei-
ner Landstraße"
wandle, daß ihre
Kindlichkeit „den
Egoismus, die
Lust am Trug,
die Herzlosigkeit
dieses Alters"
kenne. Die„Härte
des spanischen
Realismus" des-
wegen anzukla-
geu, ist nicht not-
wendig, denn die-
ser ist eine allge-
mein menschliche
Erscheinung der
jugeudlicheu Fle-
geljahre. Diese
Bilderzeigennur,
mit welcher Un-
befangenheit Mu-
rillo dem realen
Leben gegenüber-
stand, wie er dem-
selben stets eine
neue künstlerische
Seite abzugewin-
nen wußte. Der
volle Griff ins
Menschenleben
kennzeichnet sich darin, daß kaum einmal sich ein
Modell wiedererkennen läßt. Wo es sich um die
Jdealisierung der Armut, ihre Erhebuug zur Würde
einer sittlichen Tugend handelt, erscheint der Meister
ebeuso auf künstlerischer Höhe.

Jn einsamer Waldlandschaft, in dem vom
wilden Jordan durchrauschten Tale glitzert das
Licht im Gischte des Wassers, reflektiert an den
breiten Flächen der Felsen und umspielt die
Baumkronen mit goldenen Tönen. Der Hinter-
grund für die Gestalt des jugendlichen Täufers
ist geschaffen (Abb. 3). Dieser erscheint, mit dem

Felle bekleidet, das in breiten Maßen die Lenden
umhüllt und sich nach der linken Schulter hinauf-
zieht. Reiches, dunkles Lockenhaar umschließt
das Antlitz, aus dem die großen Augen und der
geschlossene Mund dem Beschauer ernst entgegen-
treten. Die Linke umfaßt das kleine Holzkreuz,
um welches sich das slatternde Spruchband
schlingt, auf dem die Worte zu lesen sind: „Sehet

an das Lamm
Gottes." Das
Shmbol des Got-
tessohnes, das
Lamm, hat sich
dem jugendlichen
Vorläufer Jesu
genähert, freund-
lich faßt dessen
Rechte dasselbe.
Das Licht fällt
von oben auf den
gebräuntenzarten
Körper und sein
Lämmchen. Jm
Kinde offenbareu
sich die Züge des
küustigen ernsten
Bußpredigers,
desgroßenHerol-
des des Herrnmit
der Ankündigung
der nahenden Er-
lösung au die sün-
dige Menschheit.

Über ein Dut-
zend Darstellun-
gen des Christus-
knaben kennen die
Verzeichnisse von
Curtis. Jn der
Nationalgalerie
inLondon(Abb.9)
erscheint er im
Dreifaltigkeits-
bilde. Nur mit
einemumdieLen-
den geschürzten
Röckchen beklei-
detsistdasjugend-
liche, nach rechts
geneigte Haupt
aufwärts gerichtet. Jm leicht geöffneten Munde
äußert sich ahnungsvoll der künftige Schmerz
des göttlichen Dulders, in den weitgeöffneten
Augen gleichzeitig die volle Ergebung in den
Willen seines himmlischen Vaters: „nicht meiu
Wille, sondern der deine geschehe." Der Nim-
bus ist zart angedeutet im hellen Lichte, wel-
ches das Lockenhaupt umflutet und im dunk-
leren Hintergrunde sich verliert. Eine hübsche
Bemerkung siicht der begeisterte Murillo-Ver-
ehrer Dalton bei Besprechung der Peters-
burger Gemälde ein: „bei genauerer Betrachtung

Abb. 12 IText S, 12) Ph°t, Franz Hanislaengl

Der hl. Joseph und das Jesnskind, Museum Budapcst.

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