21
Mund verkündet. Von oben schwebt das Sinn-
bild des Hl. Geistes, die Taube herab. Zu beiden
Seiten sind auf Wolken Gruppen von Engeln
aufgebaut. Zart verteilt ist wieder das Licht in
den Figuren. Voll beleuchtet ist der Engel, irn
Antlitze der Jungfrau reflektiert es gleichsam,
glüht in der Engelsgruppe über Maria, verblaßt
etwas in derjenigen über dem Engel der Ver-
kündigung, leuchtet noch einmal im Farbenglanze
seiner Schwingen auf. Auffallend ist der weh-
mutsvolle Ernst, den diese Gnadenerweise des
Himmels an die Erde allenthalben hervorrufen.
Trauernd senkt Maria ihre Blicke, Mitleid spielt
in den Zügen des Engels, das auch in den Ge-
sichtchen seiner Begleiter sich bemerkbar macht. Der
Grund liegt nahe. Jhr Einverständnis zur Mit-
wirkung am Erlösungswerke hat Maria eben er-
klärt. Bethlehems Verachtung und Armut waren
die ersten Opferstufen, die sich hinaufziehen zum
Leiden ihres göttlichen Sohnes, nach dem Kalva-
rienberge.
Jm Prado-Museum zu Madrid begegnet uns
in ergreifendrr Einfachheit das Antlitz des gött-
lichen Dulders (Abb. 24). Der dunkelrote Spott-
mantel umkleidet die Schultern. Jns göttliche
Haupt ist die Dornenkrone tief eingedrungen, das
künden deutlich, aber frei von derbem Realismus,
die Blutspuren der Stirne und des Halses. Den
Mund verhüllen die Barthaare. Aber welcher
Schmerz äußert sich im hell beleuchteten Antlitze,
in diesen halb geöffneten Augen! Wir dürfen
dieSzene vervollständigen. Pilatus' wirres Haupt
zeigt sich: „Loos lioino." Grollend wogen des
Volkes Stimmen: „ans Kreuz mit ihm". „Siehe
ich komme, dein Heiland, dein Erlöser", haucht
es voll gottergebener Milde aus dem Bilde uns
entgegen.
Das nahende Ende der Leiden enthüllt uns
die große Kreuzigung in der Eremitage zu Peters-
burg (Abb. 26). Jn der Handstellung des Ge-
kreuzigten äußert sich rechts noch der Segen über
einen Begnadigten, links die Abweisung des Ver-
urteilten. Die Wunden bluten, nach den zarten
Andeutungen des Künstlers. Das Haupt neigt
sich nach der rechten Seite. Ein Moment der
Ruhe im namenlosen Leiden scheint eingetreten
zu sein. Schmerzvoll äußert sich das
sehnsuchtsvolle Verlangen in Maria
und Johannes noch ein Wort aus dem
Munde des Sterbenden zu vernehmen.
Es wird den stummen Bitten ent-
sprochen: „Sieh deinen Sohn, sieh deine
Mutter." Magdalena umklammert das
Kreuz, mit ihrer Rechten bedeutungs-
voll den Nagel der Füße hervorhebend.
Jn ihrem Antlitze bekämpfen Schmerz
und siegreiche Liebe einander. Vom Ge-
kreuzigten wallt das Licht in den flat-
ternden Enden des Lendentuchs herab,
wogt über der undankbaren Stadt im
Hintergrund. Jerusalems Vergehen ist
groß, aber in Rücksicht auf die Folgen
des Frevels muß sie als glückliche, se-
gensvolle Schuld bezeichnet werden.
Mit dem Kreuze ist die Aufgabe
der Mutter noch nicht abgeschlossen, auch
dem Leichnam des Sohnes wendet sie
ihre Sorgfalt zu. Die Ltutsi- Dolorosu
von Gaston Linden zu London (Abb. 2b)
drückt dieses Verlangen in lebendigster
Weise aus. Die sitzende Mutter breitet
ihre Hände aus. Voll innigem Ver-
langen richtet sich das Haupt empor.
Liebe, innige Liebe durchglüht die Züge,
in den weichen Furchen des Antlitzes
hat sich der erlitteneSchmerz eingebettet.
Leicht vorgestellt ist der rechte Fuß.
Jn dem von oben einfallenden Lichte
erscheint die Oolorosu nicht vom un-
gestümen Verlangen erfüllt, sich rasch
erheben zu wollen. Sie verfolgt das
sanfte Herabgleiten des Leichnams vom
Kreuze in die Arme edler Männer.
Jn ihrem Mutterschoße wird er wieder
eine Ruhestätte finden.
Abb. 25 (Text nebenan) Ph°t. Franz Hansstaengl
Die schmerzhafte Muttcr. Gaston Linden, London.
Mund verkündet. Von oben schwebt das Sinn-
bild des Hl. Geistes, die Taube herab. Zu beiden
Seiten sind auf Wolken Gruppen von Engeln
aufgebaut. Zart verteilt ist wieder das Licht in
den Figuren. Voll beleuchtet ist der Engel, irn
Antlitze der Jungfrau reflektiert es gleichsam,
glüht in der Engelsgruppe über Maria, verblaßt
etwas in derjenigen über dem Engel der Ver-
kündigung, leuchtet noch einmal im Farbenglanze
seiner Schwingen auf. Auffallend ist der weh-
mutsvolle Ernst, den diese Gnadenerweise des
Himmels an die Erde allenthalben hervorrufen.
Trauernd senkt Maria ihre Blicke, Mitleid spielt
in den Zügen des Engels, das auch in den Ge-
sichtchen seiner Begleiter sich bemerkbar macht. Der
Grund liegt nahe. Jhr Einverständnis zur Mit-
wirkung am Erlösungswerke hat Maria eben er-
klärt. Bethlehems Verachtung und Armut waren
die ersten Opferstufen, die sich hinaufziehen zum
Leiden ihres göttlichen Sohnes, nach dem Kalva-
rienberge.
Jm Prado-Museum zu Madrid begegnet uns
in ergreifendrr Einfachheit das Antlitz des gött-
lichen Dulders (Abb. 24). Der dunkelrote Spott-
mantel umkleidet die Schultern. Jns göttliche
Haupt ist die Dornenkrone tief eingedrungen, das
künden deutlich, aber frei von derbem Realismus,
die Blutspuren der Stirne und des Halses. Den
Mund verhüllen die Barthaare. Aber welcher
Schmerz äußert sich im hell beleuchteten Antlitze,
in diesen halb geöffneten Augen! Wir dürfen
dieSzene vervollständigen. Pilatus' wirres Haupt
zeigt sich: „Loos lioino." Grollend wogen des
Volkes Stimmen: „ans Kreuz mit ihm". „Siehe
ich komme, dein Heiland, dein Erlöser", haucht
es voll gottergebener Milde aus dem Bilde uns
entgegen.
Das nahende Ende der Leiden enthüllt uns
die große Kreuzigung in der Eremitage zu Peters-
burg (Abb. 26). Jn der Handstellung des Ge-
kreuzigten äußert sich rechts noch der Segen über
einen Begnadigten, links die Abweisung des Ver-
urteilten. Die Wunden bluten, nach den zarten
Andeutungen des Künstlers. Das Haupt neigt
sich nach der rechten Seite. Ein Moment der
Ruhe im namenlosen Leiden scheint eingetreten
zu sein. Schmerzvoll äußert sich das
sehnsuchtsvolle Verlangen in Maria
und Johannes noch ein Wort aus dem
Munde des Sterbenden zu vernehmen.
Es wird den stummen Bitten ent-
sprochen: „Sieh deinen Sohn, sieh deine
Mutter." Magdalena umklammert das
Kreuz, mit ihrer Rechten bedeutungs-
voll den Nagel der Füße hervorhebend.
Jn ihrem Antlitze bekämpfen Schmerz
und siegreiche Liebe einander. Vom Ge-
kreuzigten wallt das Licht in den flat-
ternden Enden des Lendentuchs herab,
wogt über der undankbaren Stadt im
Hintergrund. Jerusalems Vergehen ist
groß, aber in Rücksicht auf die Folgen
des Frevels muß sie als glückliche, se-
gensvolle Schuld bezeichnet werden.
Mit dem Kreuze ist die Aufgabe
der Mutter noch nicht abgeschlossen, auch
dem Leichnam des Sohnes wendet sie
ihre Sorgfalt zu. Die Ltutsi- Dolorosu
von Gaston Linden zu London (Abb. 2b)
drückt dieses Verlangen in lebendigster
Weise aus. Die sitzende Mutter breitet
ihre Hände aus. Voll innigem Ver-
langen richtet sich das Haupt empor.
Liebe, innige Liebe durchglüht die Züge,
in den weichen Furchen des Antlitzes
hat sich der erlitteneSchmerz eingebettet.
Leicht vorgestellt ist der rechte Fuß.
Jn dem von oben einfallenden Lichte
erscheint die Oolorosu nicht vom un-
gestümen Verlangen erfüllt, sich rasch
erheben zu wollen. Sie verfolgt das
sanfte Herabgleiten des Leichnams vom
Kreuze in die Arme edler Männer.
Jn ihrem Mutterschoße wird er wieder
eine Ruhestätte finden.
Abb. 25 (Text nebenan) Ph°t. Franz Hansstaengl
Die schmerzhafte Muttcr. Gaston Linden, London.