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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0072
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28

Abb. Zg (Text S. 26) Ph°t- Sranz Hanfftacngl

Der Hl. Apostel Zakobus. Prado, Madrid.

Glanz verbreitet sich plötzlich. Er geht vom Engel
aus, der Petrus zart am Arme berührt und ihn
mit hinweisender Bewegung auf die Treppe auf-
merksam macht. Petrus, noch halb fchlaftrunken,
ist im Begrifse, sich aufzurichten, indem er stau-
nend den Engel anblickt. Er zweifelt, ob ein
Traum oder dieWirklichkeit dieEngelserscheinung
gerufen habe. Die bereits gelösten Bande, die
Ketten und Fußringe am Boden, bestätigen die
Wahrheit der Tatsache. Die Prachtgestalt des
Engels mit den jugendlich frischen Zügen kon-
trastiert auffallend gegen das von tiefen Leiden
durchfurchte Antlitz des hl. Petrus.

Ein Meisterwerk in Farbenduft und kühn hin-
geworfener Zeichnung ist das Martyrium des
hl. Andreas im Prado-Museum zu Madrid (Abb.
32). Hoch aufgerichtet ist das schräggestellte
Kreuz. Von körperlichem Schmerz ift im greisen
Apostel nichts zu beobachten. Hoffnungsvoll eilt
der Blick zu lichtgesättigten Höhen, aus denen die
Engel mit der Siegespalme niederschweben. Unter
dem Kreuze sind die Henkersknechte mit Auf-
räumungsarbeiten und dem Befestigen der Füße
des Heiligen beschäftigt. Grell beinahe leuchtet es
hier in Rot und Blau, aber die kräftigen Farben
haben ein Gegengewicht in den satten dunkeln
Tönen der linken Gruppe mitleidsvoller Zeugen
der Marterszene, in den berittenen Befehlshabern

zur Rechten, unter denen das Pferd
in prächtig verkürzter Zeichnung fich be-
merkbar macht. Lanzenknechte scheinen
die andringenden Volksmassen zurückzu-
weisen. Diese, wie die römischen Bau-
ten von Paträ im Hintergrunde ver-
schwimmen in der staubgesättigten Son-
nenglut.

Die Serie der von Murillo darge-
stellten Heiligen eröffnen wir mit dem
HI. Hieronymus des Prado zu Madrid
(Abb. 30). Der hl. Kirchenlehrer ist von
der christlichen Malerei oft dargestellt
worden. Nicht selten benützte ihn die
Kunst, um im abgemagerten Leibe des
bethlehemitischen Eremiten ihre anato-
mischen Kenntnisse zur Schau zu stellen.
Murillo ist dieser Versuchung auch etwas
unterlegeu, denn, im Gegensatze zu Pa-
checo, der auf die diesem Heiligen zu-
kommenden Attribute etwas langatmig
hinweist, finden wir den gelehrten Be-
arbeiter und llbersetzer der Hl. Schrift
in einer Felshöhle, die sich nur in einer
Ecke öffnet und dort einen Ausblick in
die Natur gewährt. An dem mit Büchern
und Schreibgeräten besetzten Felstische
sitzt der Einstedler in das Studium des
Buches versenkt, dessen Blatt die Rechte
umzuwenden im Begriffe steht. Volles
Licht fällt auf den Arm und die Brust,
das Spiel der Muskeln macht sich be-
merkbar, die Adern der äußeren Hand-
fläche treten deutlich hervor. Aber im
Haupte mit seinen leicht ergrauten Barthaaren
spiegelt sich der volle Ernst der geistigen Arbeit,
die ganze Hingabe an dieselbe aus.

Festlicher ist die Auffassung des hl. Augusti-
nus, freudiger äußert sich wieder die Farbenlust
des Sevillaners. Das für den Hochaltar der
Augustinerkirche einst bestimmte Gemälde besindet
sich jetzt im Museum zu Sevilla (Abb. 34). Am
bedeckten Tische, vor dem Bücher und eine Rolle
am Boden sich bemerkbar machen, sitzt, angetan
mit dunkelm Gewande und dem Kreuze über der
Brust, der große Bischof von Hippo, in dessen auf-
wärts blickendem Kopf wir den Sohn Nordafrikas
erkennen. Die Rechte hält noch die Feder über
dem offenen Buche, aber das Auge schaut ver-
wundert das Geheimnis der Dreifaltigkeit, über
welches er in tieser Spekulation und unter stän-
digem Gebete geschrieben hat. Christus und Gott-
vater, zwischen denen die Taube schwebt, thronen
auf Wolken, umfloffen von goldenem Lichte, wie
es nur Murillo zu malen verstanden hat. Aus
dem dunkleren Wolkenrande tauchen fünf Englein
auf, von denen das unterste den Kirchenlehrer auf
die himmlische Erscheinung aufmerksam macht.
Ein neues Licht- und Farbenproblem ist hier
gelöst. Von den beleuchteten Büchern und der
Hand abgesehen, dämmert das Dunkel in den
untern Partien, dieses lichtet sich nach der Höhe,
 
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