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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0085
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Abb. t8 (Text unten)

Die Verzückung des hl. Diego. Louvre, Paris.


III. Eine Blütenlese seiner Werke.

Murillos künstlerischen Entwicklungsgang zu
verfolgen, bietet nicht geringe Schwierigkeiten.
Beim Mangel au schriftlichen Quellen ist man
auf seine Werke angewiesen. Auch llon diesen sind
nur wenige chronologisch bestimmt. Jn der un-
mittelbar nach 1645, der Rückkehr von Sevilla
nach Madrid, entstandenen sogenannten Engels-
küche zu Paris (Abb. 48) erscheint der Künstler in
seiner vollen Eigenart. Ein schlichter Laienbruder,
der hl. Diego von Alcaln, schwebt lichtumflossen,
betend, in himmlischer Verzückung über der Erde.
Seine Küchendienste erfüllen unterdessen in voller
Geschäftigkeit die Engel des Himmels. Jn licht-
violettem Kleide gibt in der Mitte der freiwillige
Küchenchef seinem Mitbruder einen Auftrag,
bevor er mit seinem Kruge enteilt. Der Beauf-
tragte, in grünlichgelbem Gewand, betastet das
Fleisch auf dem Küchentische. Auf einem Stuhle
an demselben ist eine beschwingte Dienerin am
Mörser, zwei kleine Englein am Boden mit der
Zurichtung der Grüngemüse beschäftigt. Mit den
Tellern hat ein anderer zu schaffen, im Hinter-
grunde wird die dampfende Suppe im Kochkessel
gerührt. Zeugen des lebenssrischen, sinnigen Vor-
ganges sind links der eben mit zwei Besuchern
eingetretene Klosterobere und rechts ein ver-
wundert dreinblickender Bruder. Murillo hat
dieses Gemälde, das ihn, mit den übrigen Werken
für das Franziskanerkloster in Sevilla, mit einem
Schlage zum berühmten Künstler machte, mit
seinem vollen Namen bezeichnet.

Deutlicher offenbaren sich die Anfänge des
werdenden Künstlers in der Berliner Geburt
Christi (Abb. 51). Die Gruppe der Mutter, die

mit dem hl. Joseph, das auf dem Linnen über
Stroh liegende Kind betrachtet, hat noch wenig
vom Liebreiz der späteren Zeit. Echte Kinder
des spanischen Künstler-Genius sind das greise
Hirtenpaar mit ihrem aus dem Stab sich stützen-
den Sohne. Heilige Andacht, befriedigtes Sehnen
verklärt die welken Züge, entlockt dem Jünglinge
ein frohes Lächeln. Etwas ungeschlacht drängen
sich die dunkeln Umrisse der beiden Hirten, von
denen einer ein Lamm trägt, auf. Ungleich zarter
ist die Behandlung des nämlichen Gegenstandes
im Bilde (Abb. 64). Die Mutter mit ihrem Kinde
ist dem Beschauer näher gerückt, der hl. Joseph
verschwindet mehr im Hintergrunde. Reizend ist
die fromme Neugierde der beiden Hirten betont,
während der Knabe sein Glück der sorglichen Mut-
ter mitteilen muß. Mit der Freude der Menschen
einigt sich der Jubel der beiden Engel auf den
Wolken über die Geburt des Weltheilandes.

Die Verkündigung in Madrid (Abb.52) bevor-
zugt noch das gelblich schwache Licht, mit dem die
Farben violett, blau und grün nicht harmonisch
sich verbinden. Ernst lauscht Maria den Worten
des emporweisenden Engels, in dessen Zügen
man die erhabene Botschaft kaum ahnt, die er zu
überbringen im Begriffe steht. Man beachte übri-
gens die Zeichnung der Hände, besonders der
linken Hand der Madonna, in deren Steifheit
man die künftige Routine des Pinsels kaum ahnen
kann. Das ist die harte Modellierung, das schwere
Kolorit mit seinen dunkeln Schatten, in dem die
Spanier die ersteEpoche, den kalten Stil Murillos
erkennen. Hingegen ist der lebenslustige Chor
der heiteren Engel um das verschwommene Sinn-
 
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