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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0093
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düster, nur durch einzelne Lichter erhellt, ist der
Hintergrund. Alle, auch die Getreuen, haben sich
vom Kreuze zurückgezogen. Jm beleuchteten Kör-
per zeigen die Muskeln und Armgelenke die ge-
endeten Leiden. „Es ist vollbracht", hat der
Mund bereits verkündet, das todesmüde Haupt
ruht, an den Arm angelehnt. Selbst die Jnschrift
am Kreuze wendet sich an die betrachtende Seele.
„Hier ist Jesus, der König der Juden", verkündet
sie in lateinischer Sprache.

Das Kreuz tritt auch in seinen mystischen Be-
ziehungen zu den Heiligen hervor. Jn eigen-
artiger Weise, wie sie auch Pacheco unbekannt ist,
im hl. Franziskus (Abb. 73). Dieser umschlingt
liebevoll den Gekreuzigten als seinen kostbarsten
Schatz, Ehre und Ansehen, Reichtum und Genuß
weist er zurück, indem er ihr Symbol, die Erd-
kugel, mit dem Fuße von sich stößt. Der Heiland
selbst hat sich vom Kreuze zu seinem Verehrer
Herabgelassen. Seine Rechte umfaßt die Schul-
ter des seraphischen Heiligen. An ihm, wie an
seinem gekreuzigten Vorbilde sind die Wundmale
sichtbar. „Nie ist die unwiderstehliche Gewalt des
asketischen Zuges überzeugender, hinreißender
gemalt worden", bemerkt mit Recht Justi. Den
Vorgang verdeutlicht die Schrift des vou zwei
Engeln gehaltenen Buches: „Wer nicht alles ver-
läßt, was er besitzt, kann mein Schüler nicht sein."
Die Mhstik dieses Vorganges betont selbst die
Landschaft. Jn nächtlichem, durch sil-
bernes Mondlicht aufgehelltem Dunkel
schimmern die Ruinen einer Stadt aus
waldiger Gegend, der kühn ein Fels
entsteigt.

Einfacher, aber nicht weniger tief auf-
gefaßt, tritt uns der Heilige entgegen,
wenn er (Abb. 74) mit der Hand, an
der das Wundmal leuchtet, das Holzkreuz
umfaßt und den Rosenkranz hält. Sinnig
blickt der Kopf, in dem man die Züge
des Christushauptes erkenuen kann, nach
dem geöffneten Buche über dem Toten-
schädcl. Der Heilige erscheint in den
Sinn der Schriftworte versenkt, welche
im Buche der Engel des vorigen Bildes
verzeichnet waren.

Des Meisters Lieblingsthema aus
der Geschichte des Franziskanerordens,
zu dem er in immer neuen Kompositionen
wieder zurückkehrt, war der hl. Antonius
vou Padua, dem das Jesuskind erscheint.
Jn unserer Darstellung (Abb. 75) hat
sich das göttliche Kind auf das Buch
niedergelassen und spricht von den
Wundern himmlischer Liebe. Kniend
umfängt der Heilige die liebliche Er-
scheinung, lauscht ihreu Worten und
versenkt sich in ihren Anblick. Die Lilie
glänzt in seiner Rechten. Vom Kinde aus
durchflutet einLichtstrom denHintergrund,
Abb. S6 iText S. 48) Ph°t. Franz Haasstarngt über dem auf Wolken eine reizende Gruppe

Der Betteljunge. Louvre, Puris. von Engeln im Ringeltanz sich bewegt.

Wunders, während zwei auf die harrende Volks-
menge hinweisen. Jn einer reizvollen Gruppe
der rechtenEcke sind die verschiedenen menschlichrn
Altersstufen vertreten: Kinder in den Armen der
Mütter, ein ernster Mann und eine alte Frau.
Sie sind der Hilfe, die ihren Hunger stillen wird,
vollständig sicher. Jn beiden Gemälden kann man
des Meisters Taktgefühl nur bewundern. Die
realistischen Szenen brennenden Durstes, quälen-
den Hungers, das aufrührerische Wogen des mur-
renden Volkes und dessen Ausschreitungen hätte
ein naturalistischer Pinsel bevorzugt. Jm gold-
nen Sonnenscheine des Dankes, froher Erwartung
der Hilse, beleuchtet unser Meister die Großtaten
Gottes.

Das nämliche zarte Empfinden zeigt Murillo
als echter Sohn Spaniens in den Szenen des
Leidens Jesu. Die qualvolle Angst des Olberges,
die Geißlung mit ihren Henkersknechten, die aus-
gelasseneRotte des Kreuzweges ist ihm unbekaunt,
war seiner Kunst fremd. Selbst im Schweißtuche
Veronikas (Abb. 71) weist einzig die Dornen-
krone mit ihren Blutspuren auf die ausgestan-
denen Leiden hin. Aus den Lippen scheinen noch
die Worte zu schweben: „Weinet über euch und
eure Kinder." Aus den sanft geöffneten Augen
leuchtetgöttlicheMilde und himmlischesErbarmen.

Jm Gekreuzigten des Prado-Museum (Abb.
72) überzieht dunkles Gelvölke die Landschaft,

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