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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Fäh, Adolf: Murillo
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0094
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Noch einmal erfrischt unser Auge eineBlüte
aus dem Marienleben: die Vermählung Mariä
in englischem Privatbesitz (Abb. 7ü). Das Braut-
paar, Maria jugendlich und zart, der hl. Joseph
mit dem blühenden Stabe, als reifer Jüngling,
reichen sich die Hände, während der Hohe-
priester den Segen spendet. Eine Gruppe von
Frauen steht links im Gespräche. Unter den
Freiern zur rechten Seite begegnet uns das
florentinische Motiv des Stabbrechens, dem der
vordere Jüngling mit seinem bereits gebogenen
Stabe zuschaut. Aus der Lichthöhe der aus-
gespannten Draperie schwebt die Taube hernieder.
Die Verbindung
von je drei Fi-
guren zu einer
Gruppe scheint
ebenfalls den Jta-
lienern abgelauscht
zu sein.

Holdes Glück
leuchtet dem Be-
trachtenden immer
aus den Bildern
derhl. Familie ent-
gegen. Das Kissen
mit der Näharbeit
ruht auf dem
Schoße der etwas
schematisch behan-
delten Jungfrau
(Abb.77). Siehebt
den Schleier vom
schlafenden Wie-
genkinde empor,
um dasselbe zu be-
trachten. Auch der
hl. Joseph unter-
bricht seine Arbeit,
um sich am näm-
lichen Anblicke zu
weiden. Leise und
aufmerksam, um
den Sckflummer
nicht zu stören,
schweben aus der
Höhe drei echte Murillo-Engel herab. Die Um-
risse des Hintergrundes lassen die Säge des
Zimmermanns erkennen.

Jn dem Gemälde der Eremitage zu Peters-
burg (Abb. 78) erscheint Maria ebenfalls in sitzen-
der Stellung. Die nämliche Arbeit liegt auf ihren
Knien. Allein die Wiege ist verschwunden. Der
hl.Joseph trägt freudig das Kind, das verlangend
seine Händchen nach der Mutter ausbreitet, die
es in Empfang zu nehmen im Begriffe ist. Die
himmlischen Zeugen des heiligen Glückes fehlen.
Die Werkstätte des Zimmermanns ist auch als
Wohnort der Armut gekennzeichnet. Allein Nim-
bus und Strahlenkranz setzen die liebliche Fa-
milienszene in höhere Sphären.

Jn der idyllischen Auffassung des hl. Joseph

und des Jesuskindes, ebenfalls in Petersburg
(Abb. 76), wußte der Künstler ins religiöse
Genrebild einen Zug sinnigen Ernstes zu
hauchen. Mit väterlicher Milde umschlingt
der Heilige das göttliche Kind. Jn der Rech-
ten ruht der Lilienstengel und liebend versenkt
sich sein Auge in den Anblick des stehenden
Kindes. Dieses wendet sich fast scheu von
seinem Nährvater ab, denn ein wichtiges Ge-
heimnis vertraut es eben an, dessen Wirkung
im besorgten Antlitz der Sohn nicht beobachten
will: das Geheimnis des künftigen Leidens.

Deutlicher, mit machtvollern Worten nieder-

geschrieben, ist die
Bekehrung des hl.
Paulus in der Ere-
mitage (Abb. 83).
Saulus ist nieder-
gestürzt vom Pfer-
de, von den Armen
einesKnechtes auf-
gefangen. Jn lich-
ten Höhen schwebt
Christus mit dem
Kreuze, den mil-
den Vorwurf auf
den Lippen, dessen
Worte vom Munde
ausgehen: „Sau-
lus, Saulus, wa-
rum verfolgst du
mich?" Der Haß
gegen die junge
Christengemeinde
hat sich aus dem
Herzen des über-
eifrigen Shnago-
genjüngers bereits
geflüchtet. Erblin-
det, breitet er er-
wartungsvoll die
Händeaus:„Herr,
was willst du, daß
ich tun soll?" Jn
feinsinniger Weise
kennzeichnet der
Küustler den Schrecken über die himmlische Er-
scheinung, den Haß gegen Christus in der wild
bewegten Gruppe der teils berittenen Begleiter.
Wahre Tigeraugen blitzen aus dem Dunkel der
rechten Seite des Gemäldes auf!

Zu Murillos eigentlichem Element, in dem der
Erde und des Himmels Grenzen sich verwischen,
kehren wir im hl. Jldefons des Prado-Museums
(Abb. 80) zurück. Der Abt des Klosters Agli,
der hl. Erzbischof von Toledo, kniet an den
Stufen des Thrones der Jungfrau, die etwas
steifen Bausche der seidenen Oupxu inLAnu
umkleiden ihn. Verwundert, dankend blickt er
auf zur seligsten Jungfrau, die dem Heiligen ein
Meßgewand reicht, das er in Empfang nimmt.
Vier Engel in faltigen, langen Kleidern um-

Abb. 57 (Text S. 46) Phot. Anderson, Ro>n

Die hl. Justa und Rufina. Museum, Sevilla.
 
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