Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

DOI Heft:
Nieuwbarn, M.C.: Die Madonna in der Malerei
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0124
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4

bem, Dürer, Memling, Peter Paul Rubens ent-
faltete die Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts
ihre herrlichsten Blüten. Von da an sank die
Madonnenmalerei allmählich, so redlich man sich
auch bemühte, wie in allen übrigen Perioden der
christlichen Kunst, sein Bestes in die Darstellung
der jungfräulichen Got-
tesmutter hineinzule-
gen. Erst im 19. Jahr-
hundert begannen wie-
der bedeutendere Werke
zu entstehen. Jn der
nachfolgenden Studie
solleu die köstlichen
Früchte vom Baume
der Marien geweihten
Malkunst gesammelt
und gewürdigt werden.

Nicht eine ausführ-
liche Geschichte der Ent-
wicklung des Madon-
nenideals in der Ma-
lerei aber sollen diese
Blätter geben, sondern
wir wollen der Ereig-
nisse des Lebens der
heiligen Jungfrau ge-
denken und uns er-
freuen, wie von jeher
ein jegliches davon die
Herzen kunstbegnadeter
Menschen ergriffen und
zu herrlichem Schaffen
begeistert hat. Gleich
innig hat die Herzen
aller Menschengeschlech-
ter das irdische Leben
Mariens berührt, in
dessen Freuden und
Schmerzen sich unend-
lich vertieft und ver-
klärt widerspiegelt, was
der Mensch in seinem
Erdenleben erfährt,was
seine Seele froh oder
traurig macht. Gleich
ist zu allen Zeiten die
fromme, die dankbare
Erinnerung gewesenfür Abb. i
die Trösterin der Be-
trübten, die gläubige
Hingabe an die himm-

lische Fürbitterin, das kindliche Vertrauen zu ihr,
deren mütterliche Liebe sich der Sünder annimmt.
Freilich, manche Auffassungen haben sich geändert
und damit auch die Formen, in denen die Künstler
die heilige Jungfrau mit innerem Auge gesehen,
diese ihrem Geiste gewordene Offenbarung in
ihren Gemälden festzuhalten und wiederzugcben
versucht haben. Das ganze Jahr ist reich an

Hans Holbein L. A., Tempelgang Mariii iTcxt S. 7)
München, Ptnakothek

Marientagen, mit den großen Festen der Christen-
heit ist die Erinnerung an die wichtigsten Erleb-
nisse der heiligen Jungfrau untrennbar ver-
knüpft. Jm Gebete erneuert sich immer wieder der
Gedanke an sie, an alles, was ihr als Gottesmutter
Freudiges, Schmerzliches, Glorreiches beschieden

gewesen. Und was sol-
cherart einem jeden
Gläubigen beständig
vors Herz geführt wur-
de, wie hätte es anders
können, als in der er-
regbaren Seele der
Künstler Bildvorstel-
lungen hervorzurufen
und den unwidersteh-
lichen Trieb der glau-
bensbegeisterten Kunst
zum Schaffen rege zu
machen?

Der erste Dezember
ist in alten Zeiten der
Jahresanfang gewesen
— es hat noch mehrere
andere Termine gege-
ben, mit denen zu ver-
schiedenen Zeiten und
an verschiedenen Orten
das Jahr angehoben
hat; von ihnen hat sich
der erste Januar für
die bürgerliche und der
Anfang Dezember sür
die kirchliche Zeitrech-
nung gehalten. Lange
zuvor aber beginnt das
Lebensjahr der heiligen
Jungfrau. Das Fest
Mariä Geburt ist
am 8. September. Wie
groß ist die Zahl der
Gemälde, die uns in
das Gemach der heiligen
Mutter Anna blicken
lassen, wo das Mägd-
lein zurWelt gekommen
ist, dem so unendlich
Großes im irdischen
Leben und darüber hin-
aus beschieden war.
Wahrlich, die Gelegen-
heit war für die Maler
verführerisch, ein Bild aus dem vollen täglichen
Leben herauszugreifen und mit allen möglichen
anmutigen Einzelheiten eine recht naturwahre
und ansprechende Genreszene zu schaffen. Die
Künstler naiver Zeiten fragen nicht darnach,
ob ihre Schilderungen mit historischen, geographi-
schen und volkskundlichen Äußerlichkeiten zusam-
menstimmen. Sie schaffen in ihres Herzens Ein-

Phot. F. Bruckmann
 
Annotationen