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wartende Christkindlein selbst, in seinen Händchen
das Kreuz tragend. So sehen wir es zum Bei-
spiel bei einem Gemälde, das sich im Kloster Neu-
stift bei Brixen befindet. Unter den Verkündi-
gungsbildern sind etliche, die zu den größten Mei-
sterwerken der Kunst überhaupt gehören. So die
köstlichen des Fra Angelico, dem „Die Kunst dem
Volke" ein besonderes Heft gewidmet hat und von
denen wir hier ein dem Prado zu Madrid ge-
höriges Werk zeigen.
(Abb. 7.) Jn der von
Säulen getragenen ge-
wölbten Vorhalle ihres
Hauses sitzt die heilige
Jungfrau. MitDemut,
die sich in ihrer Haltung
Herrlich ausspricht, emp-
fängt sie die göttliche
Botschaft. Durch siesoll
das Heil in die Welt
kommen, wie durch den
Fall des erstenMenschen-
paares Sünde und Tod
gekommen ist. Darauf
weist der Künstler fein-
sinnig hin, indem er uns
draußen im Freien die
VertreibungAdamsund
Evas aus dem Para-
diese sehen läßt. Sehr
hervorragend ist das
wundervolle, jetzt in
Berlin befindliche Ge-
mälde auf dem 1432
vollendeten Genter Al-
tare der Gebrüder van
Eyck; der eine oon ihnen,
Jan, schuf auch das
schöne Verkündigungs-
bild, das sich jetzt in
derEremitage zuPeters-
burg befindet. (Abb.6.)
Von germanischer Ge-
fühlstiefe erfüllt sind die
Bilder des Meisters
Rogier van der Weyden,
der 1399 oder 1400 in
Tournay geborenwurde
und 1464 zu Brüssel
starb. Die Verkündi-
gungsgemälde der spätereu Zeiten vermochten nicht
immer an Jnnerlichkeit der Auffassung mit den
älteren zu wetteifern. Eine gewisse Manieriertheit
macht sich geltend, eine Weichlichkeit lind Schwär-
merei. Ein der Dresdener Galerie gehöriges
Werk des C. Ridolfi dagegen mag ein Beispiel
sein, daß auch in jener theatralischen Zeit ernstere
Künstler dem religiösen Gedanken in tiefer Em-
pfindung großen Ausdruck zu geben verstanden.
(Abb. 8.)'
Sieben zählt man der Freuden Mariä und
sieben der Schmerzen. Von beiden die alte be-
deutungsvolle Zahl. (Mariä Freuden: Verkündi-
gung, Heimsuchung, Geburt Christi, Anbetung
der Hü Drei Könige, Auferstehung Christi, Sen-
dung des hl. Geistes und Krönung Mariä. —
Mariä Schmerzen: Beschneidung Christi, Flucht
nach Ägypten, Jesus im Tempel verloren, Kreuz-
tragung, Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grab-
legung.) Die erste große Freude schuf also die
Verkündigung, die Gott der heiligen Jungfrau
sandte. Darnach noch
eine kurze freudenvolle
Zeit, da Maria Elisa-
beth heimsuchte, und da
der Heiland zur Welt
geboren ward. Aber
schon stellte sich der erste
der Schmerzen ein, als
das Kind gleich ande-
ren Kindern beschnitten
wurde, damit das Ge-
setz Erfüllung fände.
Ilnd als am vierzigsten
Tage der Knabe im
Tempel dargestellt wur-
de, sprach Simeon zu
Maria, prophetischen
Geistes voll: „(Luc. 2,
35) Deine Seele wird
ein Schwert durchdrin-
gen!" Fürwahr, bald
fing das Wort an sich
zu erfülleu. Noch eine
hehreFreudewarMaria
in jenen Tagen beschie-
den — das war, als
die Weisen aus dem
Morgenlande kamen,
dasKindlein anzubeten.
Kaum aber waren sie
abgereist, da brach die
Verfolgung durch Hero-
des herein. Joseph und
Maria mußten mit dem
Jesuskinde nach Ägyp-
ten fliehen. Nach der
Rückkehr kamen freilich
Jahre der Ruhe und
des Friedens; still und
sleißig lebte das hei-
lige Paar in Nazareth
und der götttiche Knabe war ihnen untertan.
Ohne es zu wollen, und weil er sein mußte
in dem, was seines Vaters ist (Luc. 2, 49),
tat der zwölfjährige Jesus seiner Mutter den
Schmerz an, daß sie ihn imVolksgewühl amOster-
feste verloren glauben mußte. Wieder verflossen
Jahre, der Knabe wuchs heran, und Jesus ward
der gewaltige Lehrer des Volkes, der gepriesene
Wundertäter, der Mann, welchen alle jene bitter
haßten, denen er schonungslos die Wahrheit sagte,
unbekümmert darum, wes Namens und Ranges
sie waren. Voll Bewunderung und Verehrung
Abb. 17 Phot. F. Brullrnann
Friedrtch tzerlin, Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Text S. 21>
Nördlingcn, Museum
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wartende Christkindlein selbst, in seinen Händchen
das Kreuz tragend. So sehen wir es zum Bei-
spiel bei einem Gemälde, das sich im Kloster Neu-
stift bei Brixen befindet. Unter den Verkündi-
gungsbildern sind etliche, die zu den größten Mei-
sterwerken der Kunst überhaupt gehören. So die
köstlichen des Fra Angelico, dem „Die Kunst dem
Volke" ein besonderes Heft gewidmet hat und von
denen wir hier ein dem Prado zu Madrid ge-
höriges Werk zeigen.
(Abb. 7.) Jn der von
Säulen getragenen ge-
wölbten Vorhalle ihres
Hauses sitzt die heilige
Jungfrau. MitDemut,
die sich in ihrer Haltung
Herrlich ausspricht, emp-
fängt sie die göttliche
Botschaft. Durch siesoll
das Heil in die Welt
kommen, wie durch den
Fall des erstenMenschen-
paares Sünde und Tod
gekommen ist. Darauf
weist der Künstler fein-
sinnig hin, indem er uns
draußen im Freien die
VertreibungAdamsund
Evas aus dem Para-
diese sehen läßt. Sehr
hervorragend ist das
wundervolle, jetzt in
Berlin befindliche Ge-
mälde auf dem 1432
vollendeten Genter Al-
tare der Gebrüder van
Eyck; der eine oon ihnen,
Jan, schuf auch das
schöne Verkündigungs-
bild, das sich jetzt in
derEremitage zuPeters-
burg befindet. (Abb.6.)
Von germanischer Ge-
fühlstiefe erfüllt sind die
Bilder des Meisters
Rogier van der Weyden,
der 1399 oder 1400 in
Tournay geborenwurde
und 1464 zu Brüssel
starb. Die Verkündi-
gungsgemälde der spätereu Zeiten vermochten nicht
immer an Jnnerlichkeit der Auffassung mit den
älteren zu wetteifern. Eine gewisse Manieriertheit
macht sich geltend, eine Weichlichkeit lind Schwär-
merei. Ein der Dresdener Galerie gehöriges
Werk des C. Ridolfi dagegen mag ein Beispiel
sein, daß auch in jener theatralischen Zeit ernstere
Künstler dem religiösen Gedanken in tiefer Em-
pfindung großen Ausdruck zu geben verstanden.
(Abb. 8.)'
Sieben zählt man der Freuden Mariä und
sieben der Schmerzen. Von beiden die alte be-
deutungsvolle Zahl. (Mariä Freuden: Verkündi-
gung, Heimsuchung, Geburt Christi, Anbetung
der Hü Drei Könige, Auferstehung Christi, Sen-
dung des hl. Geistes und Krönung Mariä. —
Mariä Schmerzen: Beschneidung Christi, Flucht
nach Ägypten, Jesus im Tempel verloren, Kreuz-
tragung, Kreuzigung, Kreuzabnahme und Grab-
legung.) Die erste große Freude schuf also die
Verkündigung, die Gott der heiligen Jungfrau
sandte. Darnach noch
eine kurze freudenvolle
Zeit, da Maria Elisa-
beth heimsuchte, und da
der Heiland zur Welt
geboren ward. Aber
schon stellte sich der erste
der Schmerzen ein, als
das Kind gleich ande-
ren Kindern beschnitten
wurde, damit das Ge-
setz Erfüllung fände.
Ilnd als am vierzigsten
Tage der Knabe im
Tempel dargestellt wur-
de, sprach Simeon zu
Maria, prophetischen
Geistes voll: „(Luc. 2,
35) Deine Seele wird
ein Schwert durchdrin-
gen!" Fürwahr, bald
fing das Wort an sich
zu erfülleu. Noch eine
hehreFreudewarMaria
in jenen Tagen beschie-
den — das war, als
die Weisen aus dem
Morgenlande kamen,
dasKindlein anzubeten.
Kaum aber waren sie
abgereist, da brach die
Verfolgung durch Hero-
des herein. Joseph und
Maria mußten mit dem
Jesuskinde nach Ägyp-
ten fliehen. Nach der
Rückkehr kamen freilich
Jahre der Ruhe und
des Friedens; still und
sleißig lebte das hei-
lige Paar in Nazareth
und der götttiche Knabe war ihnen untertan.
Ohne es zu wollen, und weil er sein mußte
in dem, was seines Vaters ist (Luc. 2, 49),
tat der zwölfjährige Jesus seiner Mutter den
Schmerz an, daß sie ihn imVolksgewühl amOster-
feste verloren glauben mußte. Wieder verflossen
Jahre, der Knabe wuchs heran, und Jesus ward
der gewaltige Lehrer des Volkes, der gepriesene
Wundertäter, der Mann, welchen alle jene bitter
haßten, denen er schonungslos die Wahrheit sagte,
unbekümmert darum, wes Namens und Ranges
sie waren. Voll Bewunderung und Verehrung
Abb. 17 Phot. F. Brullrnann
Friedrtch tzerlin, Der zwölfjährige Jesus im Tempel (Text S. 21>
Nördlingcn, Museum
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