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auf uns hauptsächlich durch den Eindruck ausübt,
den diePersonen auf demBilde davon haben. Von
derartigen Verfeinerungen wußten die alten
naiven Meister nichts. Aber wer könnte sich trotz-
dem dem Zauber entziehen, den seelisch so tiefe
Bilder üben wie die Kreuztragungen von Naffael,
sein berühmtes GemäldeDosxa8imo (Abb.21),das
sich inMadridbefindet, vonDürer, dem leidenschaft-
lichen Grünewald, dem Ulmer Hans Multscher
(nachweisbar von 1427—1467) auf einem der
Flügelgemälde seines berühmten Altarwerkes zu
Sterzing in Tirol. Die Darstellungen der
Szene selbst gehen bis ins früheste Mittelalter
zurück; nicht lange auch hat man gezögert, drama-
tisches Leben hineinzulegen, so weit es der un-
entwickelte Zustand der Kunst zuließ. Vielfach,
vor allem in späterer Zeit, haben diese Dinge zur
Veräußerlichung geführt. Die Mutter des Herrn
spielt dabei meist eine nur bescheidene, wenig
bemerkte Rolle; sie muß sich zurückhalten, kann
dem Sohn keine Hilfe bringen. Und doch offen-
bart sich gerade in der Schilderung Mariä die
größte Feinheit des Künstlers. Da kann er zeigen,
was seine Kunst der Seelenmalerei vermag. Wer
mehr aufs Äußerliche gibt, läßt es mit der Dar-
stellung bewenden, wie die Muttergottes ohn-
mächtig zusammensinkt; die mehr innerlich Ver-
anlagten zeigen sie scheinbar ruhig dastehend, und
wie sie mit letzter Selbstbeherrschung dem nach
Gottes Erlösungsplan unvermeid-
lichen furchtbaren Ende ihres Soh-
nes entgegenblickt. „Es standen
bei dem Kreuze Jesu seine Mutter
und die Schwester seiner Mutter,
Maria Kleophä und Maria Mag-
dalena" (Joh. 19). Mitopfernd
wohnte Maria dem Opfertode ihres
Sohnes bei.
Die Zahl der Kreuzigungs-
bilder bleibt unübersehbar, auch
wenn wir hier nur an jene denken,
bei denen die Muttergottes mit
dargestellt ist. Derlei Malereien
gehen bis in urälteste Zeit zurück.
Nur in wenigen großen Zügen
haben die Künstler jener frühen
Zeiten den Schmerz Mariä ange-
deutet. Sie steht in ruhiger Hal-
tung, mit kummervoller Miene schaut
sie zu dem Gekreuzigten empor,
erhebt wohl auch den Saum ihres
Mantels, um die quellenden Tränen
zu trocknen. So unter zahlreichen
anderen in den Miniaturen der
altchristlichen Rabulas-Handschrift
in der Bibliotheka Laurenziana zu
Florenz, oder auf dem hochinteres-
santen Fresko in den Ruinen der
Kirche Sta. Maria antiqua auf dem
Forum zu Rom. Bereits in der spä-
teren romanischen Kunst wird die
Darstellungsweise realistischer, und
damit kommt auch der Kummer der beim Kreuze
stehenden Freunde des Herrn stärker zumAusdruck.
Schon sehen wir, wie Maria ohnmächtig nieder-
sinkt, oder in tiefem Jammer die Hände empor-
hebt beim Anblicke der Qualen, die Jesus aus-
stehen muß. So bei einem gotischen Kreuzigungs-
gemälde aus Konstanz oder einer Glasmalerei
des vierzehnten Jahrhunderts im Münster zu
Freiburg. Einsach, mit möglichst geringer Zahl
von Figuren, wie bei diesen Bildern, findet
sich die Kreuzigung im Mittelalter noch unendlich
oft dargestellt und wirkt dadurch stärker zur Er-
regung andächtiger Gefühle, als die in späterer
Zeit immer beliebter werdenden figurenreichen
Bilder, die von den Darstellungen der Passions-
bühne abhängig waren, und bei denen die histo-
rische Auffassung überwiegt. So schon in der
italienischen Kunst des ausgehenden Mittelalters;
ein Beispiel seien die noch sehr formstrengen
und doch schon von Leidenschaft bewegten Ma-
lereien des Meisters Simone Martini von Siena
(gestorben 1344). Es ist unmöglich hier weiter
ins einzelne zu gehen, um die Art der verschie-
denen Darstellung der Gottesmutter zu schil-
dern. Als ein deutsches Beispiel sei die Kreuzi-
gung des dem fünfzehnten Jahrhundert ange-
hörenden sogenannten Meisters der Lyversberger-
schen Passion, nachweisbar 1463—1490, erwähnt
und auch hier mit dem Teil der schmerzerfüllten
Abb. 84 Phot. Fr. Hanfstaengl
Niederländischer Meister, Der Tod Mariä (Text S. 88)
Berlin, Kgl. Galerie
auf uns hauptsächlich durch den Eindruck ausübt,
den diePersonen auf demBilde davon haben. Von
derartigen Verfeinerungen wußten die alten
naiven Meister nichts. Aber wer könnte sich trotz-
dem dem Zauber entziehen, den seelisch so tiefe
Bilder üben wie die Kreuztragungen von Naffael,
sein berühmtes GemäldeDosxa8imo (Abb.21),das
sich inMadridbefindet, vonDürer, dem leidenschaft-
lichen Grünewald, dem Ulmer Hans Multscher
(nachweisbar von 1427—1467) auf einem der
Flügelgemälde seines berühmten Altarwerkes zu
Sterzing in Tirol. Die Darstellungen der
Szene selbst gehen bis ins früheste Mittelalter
zurück; nicht lange auch hat man gezögert, drama-
tisches Leben hineinzulegen, so weit es der un-
entwickelte Zustand der Kunst zuließ. Vielfach,
vor allem in späterer Zeit, haben diese Dinge zur
Veräußerlichung geführt. Die Mutter des Herrn
spielt dabei meist eine nur bescheidene, wenig
bemerkte Rolle; sie muß sich zurückhalten, kann
dem Sohn keine Hilfe bringen. Und doch offen-
bart sich gerade in der Schilderung Mariä die
größte Feinheit des Künstlers. Da kann er zeigen,
was seine Kunst der Seelenmalerei vermag. Wer
mehr aufs Äußerliche gibt, läßt es mit der Dar-
stellung bewenden, wie die Muttergottes ohn-
mächtig zusammensinkt; die mehr innerlich Ver-
anlagten zeigen sie scheinbar ruhig dastehend, und
wie sie mit letzter Selbstbeherrschung dem nach
Gottes Erlösungsplan unvermeid-
lichen furchtbaren Ende ihres Soh-
nes entgegenblickt. „Es standen
bei dem Kreuze Jesu seine Mutter
und die Schwester seiner Mutter,
Maria Kleophä und Maria Mag-
dalena" (Joh. 19). Mitopfernd
wohnte Maria dem Opfertode ihres
Sohnes bei.
Die Zahl der Kreuzigungs-
bilder bleibt unübersehbar, auch
wenn wir hier nur an jene denken,
bei denen die Muttergottes mit
dargestellt ist. Derlei Malereien
gehen bis in urälteste Zeit zurück.
Nur in wenigen großen Zügen
haben die Künstler jener frühen
Zeiten den Schmerz Mariä ange-
deutet. Sie steht in ruhiger Hal-
tung, mit kummervoller Miene schaut
sie zu dem Gekreuzigten empor,
erhebt wohl auch den Saum ihres
Mantels, um die quellenden Tränen
zu trocknen. So unter zahlreichen
anderen in den Miniaturen der
altchristlichen Rabulas-Handschrift
in der Bibliotheka Laurenziana zu
Florenz, oder auf dem hochinteres-
santen Fresko in den Ruinen der
Kirche Sta. Maria antiqua auf dem
Forum zu Rom. Bereits in der spä-
teren romanischen Kunst wird die
Darstellungsweise realistischer, und
damit kommt auch der Kummer der beim Kreuze
stehenden Freunde des Herrn stärker zumAusdruck.
Schon sehen wir, wie Maria ohnmächtig nieder-
sinkt, oder in tiefem Jammer die Hände empor-
hebt beim Anblicke der Qualen, die Jesus aus-
stehen muß. So bei einem gotischen Kreuzigungs-
gemälde aus Konstanz oder einer Glasmalerei
des vierzehnten Jahrhunderts im Münster zu
Freiburg. Einsach, mit möglichst geringer Zahl
von Figuren, wie bei diesen Bildern, findet
sich die Kreuzigung im Mittelalter noch unendlich
oft dargestellt und wirkt dadurch stärker zur Er-
regung andächtiger Gefühle, als die in späterer
Zeit immer beliebter werdenden figurenreichen
Bilder, die von den Darstellungen der Passions-
bühne abhängig waren, und bei denen die histo-
rische Auffassung überwiegt. So schon in der
italienischen Kunst des ausgehenden Mittelalters;
ein Beispiel seien die noch sehr formstrengen
und doch schon von Leidenschaft bewegten Ma-
lereien des Meisters Simone Martini von Siena
(gestorben 1344). Es ist unmöglich hier weiter
ins einzelne zu gehen, um die Art der verschie-
denen Darstellung der Gottesmutter zu schil-
dern. Als ein deutsches Beispiel sei die Kreuzi-
gung des dem fünfzehnten Jahrhundert ange-
hörenden sogenannten Meisters der Lyversberger-
schen Passion, nachweisbar 1463—1490, erwähnt
und auch hier mit dem Teil der schmerzerfüllten
Abb. 84 Phot. Fr. Hanfstaengl
Niederländischer Meister, Der Tod Mariä (Text S. 88)
Berlin, Kgl. Galerie