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nen sollte. Die vielen Künst-
ler, von denen dies Ereig-
nis geschildert ward, haben
es bald so dargestellt, bald
so. Die Apostel aber um-
geben sie tieftrauernd und
lassen ihren Tränen freien
Lauf, zumal Johannes, den
Jesus ihr zum Sohne und
Beschützer gegeben hatte;
sie verrichten auch die Sterbe-
zeremonien, einer hat das
Rauchfaß, St. Peter den
Weihwasserwedel. Hinter
dem Lager der heiligen
Jungfrau aber erscheint, von
keinem gesehen, Jesus, um
die Seele seiner teuren Mut-
ter aufzunehmen. Das fin-
den wir auf sehr vielen
bildlichenDarstellungen, und
die Seele ist dabei als klei-
ues Figürchen gemalt, das
wie ein Kind auf des Hei-
landes Arm sitzt. Sie legt die Hände üetend zu-
sammen, weil die Madonna ja doch die himm-
lische Fürbitterin ist. Der Tod Mariä, auch
genannt Mariä Schlaf oder Heimgang oder
Dormition, erscheint seit dem frühen Mittelalter
Adb. 5V Phot. Anderson
Stcfano da Fcrrara, Madonna mit Kind lText S. 40)
Padua, Antoniuskirchc
in Miniaturen und ist an-
dauernd ein beliebter Gegen-
stand der Kunst gewesen.
Recht natürlich ist die Szene
besonders von germanischen
Künstlern wiedergegeben.
Ein altniederländisches
Bild aus dem Berliner
Museum (Abb. 34) diene
als Beispiel. Einer unserer
dem Namen nach nicht be-
kannten deutschen Maler des
fünfzehnten Jahrhunderts
wird geradezu nach seinem
Hauptwerke, der „Meister
des Todes Mariä" genannt.
— Als die heilige Jung-
frau nun gestorben war und
von den Aposteln zur Bc-
stattung getragen ward,
kamen nach der Legende
Juden herbei, die sich
frevelnd an der Leiche
vergreifen wollten. Aber
als sie die Bahre berührten, wurden einigen die
Hände gelähmt, andere stürzten zu Boden — eine
Szene, die sich die Malerei wegen des dabei zu
entwickelnden dramatischen Lebens nicht hat ent-
gehen lassen.
Noch standen die heiligen zwölf Apostel trau-
ernd um das Grab, so erzählt die Legende, siehe
da geschah es, daß vor ihren Augen die Madonna
körperlich gen Hinnnel entrückt ward. Sie wurde
von Engeln zur ewigen Heimat geleitet; lerr blieb
ihr Grab, nur die Leichentücher lagen noch darin,
und dem Sarge entsproßten köstliche Rosen und
Lilien. Die Legende erzählt. daß Thomas,
der ja auch des Herrn Auferstehung nicht geglaubt
hatte, ebenso die körperliche Aufnahme Marias in
den Himmel nicht glauben konnte. Da habe ihm
Maria zum Beweise ihren Gürtel vom Himmel
herabfallen lassen. Seit dem zehnten Jahrhundert
ist das große Ereignis der Himmelfahrt
Mariä von der bildenden Kunst aufgenonnnen
und seitdem oft dargestellt worden. Aber keins
aller dieser Bilder ist herrlicher als das von
Tizian in der Akademie zu Venedig, die welt-
berühmte „Assunta". (Abb. 35.) Um das mehr in
Dunkel gehaltene Grab die auf Erden zurück-
bleibenden Apostel, die staunend, begeistert empor-
blicken; auf lichten Wolken, von Engelscharen auf-
Ivärts getragen, von goldenem Himmelslichte
umflutet, die Madonna. Wie wundervoll spricht
sich der Flug durch die Lüfte aus im leich-
ten Flattern ihrer Gewänder! Jn ihrer pracht-
voll gezeichneten Haltung klingen Erinnerungen
an die Linienführung der alten gotischen Kunst
nach. die Bewegung ihrer Arme und Hände ist
die 'des Betens in altchristlichen Zeiten. Und
doch alles durchdrungen vom neuen Geiste, aber
wiederum abgeklärt, abgekehrt von allem äußer-
lichen Wesen, wie es die prunkliebende Kunst des
Abb. 40
Assisi, Pictro Cavallini, Madonna mit Kind
tText S. 40)
nen sollte. Die vielen Künst-
ler, von denen dies Ereig-
nis geschildert ward, haben
es bald so dargestellt, bald
so. Die Apostel aber um-
geben sie tieftrauernd und
lassen ihren Tränen freien
Lauf, zumal Johannes, den
Jesus ihr zum Sohne und
Beschützer gegeben hatte;
sie verrichten auch die Sterbe-
zeremonien, einer hat das
Rauchfaß, St. Peter den
Weihwasserwedel. Hinter
dem Lager der heiligen
Jungfrau aber erscheint, von
keinem gesehen, Jesus, um
die Seele seiner teuren Mut-
ter aufzunehmen. Das fin-
den wir auf sehr vielen
bildlichenDarstellungen, und
die Seele ist dabei als klei-
ues Figürchen gemalt, das
wie ein Kind auf des Hei-
landes Arm sitzt. Sie legt die Hände üetend zu-
sammen, weil die Madonna ja doch die himm-
lische Fürbitterin ist. Der Tod Mariä, auch
genannt Mariä Schlaf oder Heimgang oder
Dormition, erscheint seit dem frühen Mittelalter
Adb. 5V Phot. Anderson
Stcfano da Fcrrara, Madonna mit Kind lText S. 40)
Padua, Antoniuskirchc
in Miniaturen und ist an-
dauernd ein beliebter Gegen-
stand der Kunst gewesen.
Recht natürlich ist die Szene
besonders von germanischen
Künstlern wiedergegeben.
Ein altniederländisches
Bild aus dem Berliner
Museum (Abb. 34) diene
als Beispiel. Einer unserer
dem Namen nach nicht be-
kannten deutschen Maler des
fünfzehnten Jahrhunderts
wird geradezu nach seinem
Hauptwerke, der „Meister
des Todes Mariä" genannt.
— Als die heilige Jung-
frau nun gestorben war und
von den Aposteln zur Bc-
stattung getragen ward,
kamen nach der Legende
Juden herbei, die sich
frevelnd an der Leiche
vergreifen wollten. Aber
als sie die Bahre berührten, wurden einigen die
Hände gelähmt, andere stürzten zu Boden — eine
Szene, die sich die Malerei wegen des dabei zu
entwickelnden dramatischen Lebens nicht hat ent-
gehen lassen.
Noch standen die heiligen zwölf Apostel trau-
ernd um das Grab, so erzählt die Legende, siehe
da geschah es, daß vor ihren Augen die Madonna
körperlich gen Hinnnel entrückt ward. Sie wurde
von Engeln zur ewigen Heimat geleitet; lerr blieb
ihr Grab, nur die Leichentücher lagen noch darin,
und dem Sarge entsproßten köstliche Rosen und
Lilien. Die Legende erzählt. daß Thomas,
der ja auch des Herrn Auferstehung nicht geglaubt
hatte, ebenso die körperliche Aufnahme Marias in
den Himmel nicht glauben konnte. Da habe ihm
Maria zum Beweise ihren Gürtel vom Himmel
herabfallen lassen. Seit dem zehnten Jahrhundert
ist das große Ereignis der Himmelfahrt
Mariä von der bildenden Kunst aufgenonnnen
und seitdem oft dargestellt worden. Aber keins
aller dieser Bilder ist herrlicher als das von
Tizian in der Akademie zu Venedig, die welt-
berühmte „Assunta". (Abb. 35.) Um das mehr in
Dunkel gehaltene Grab die auf Erden zurück-
bleibenden Apostel, die staunend, begeistert empor-
blicken; auf lichten Wolken, von Engelscharen auf-
Ivärts getragen, von goldenem Himmelslichte
umflutet, die Madonna. Wie wundervoll spricht
sich der Flug durch die Lüfte aus im leich-
ten Flattern ihrer Gewänder! Jn ihrer pracht-
voll gezeichneten Haltung klingen Erinnerungen
an die Linienführung der alten gotischen Kunst
nach. die Bewegung ihrer Arme und Hände ist
die 'des Betens in altchristlichen Zeiten. Und
doch alles durchdrungen vom neuen Geiste, aber
wiederum abgeklärt, abgekehrt von allem äußer-
lichen Wesen, wie es die prunkliebende Kunst des
Abb. 40
Assisi, Pictro Cavallini, Madonna mit Kind
tText S. 40)