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Die Kunst dem Volke <München> — 1912 (Nr. 9-12)

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Nieuwbarn, M.C.: Die Madonna in der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.21074#0157
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kann von näherer Beschreibung des Werkes hier
absehen, da ja „Die Kunst dem Volke" es in einem
besonderen Holbein-Heste bereits behandelt hat.
Dort findet der Leser die Abbildung des Origi-
nals, das im Darmstädter Schloß aufbewahrt
wird, und es dürfte anregend sein, jenes Bild mit
der hier wiedergegebenen und von ihm in mehre-
ren Punkten abweichenden Kopie, die sich in
Dresden befindet. zu vergleichen.

Gewiß. es wirkt überwältigend feierlich, die
Madonna in ihrer
himmlischen Maje-
stät thronen zu sehen,
von Engeln und Hm-
ligen umgeben. Zu-
mal die letzteren kom-
men unendlich häufig
vor; die italienische
Kunst hat für solche
Gruppierungen dieBe-
zeichnung 8aoru
6onvorsa3ion6
— heiliges Gespräch.

Derlei Bilder, auf den
Altären erstrahlend,
glühend in tiefen Far-
ben, von mildem Gold-
glanze schimmernd,
nehmenSinnund Herz
gefangen, führen den
Gedanken der Andacht
ins Gebiet des Himm-
lischen, wo es nicht
Raum noch Zeit mehr
gibt. Sie schaffen Of-
fenbarungen, gleichwie
auf dem Münchener
BildedesPietroPeru-
gino (1446—1524)
der heilige Bernhard
sie hat, als die Ma-
donna zu ihm tritt,
schlicht und leibhaft
wandelnd, als lebte sie
noch auf Erden. (Abb.

45.) Mit köstlicher
Klarheit der Linien,
mit Tiefe der Empfindung, mit starkerund ruhevoller
Kunst des Vortrages führt uns der Lehrer Raffaels
jene Szene vorAugen. Schon die edle Bogenhalle,
indiewirschauen.schafftEindrückehöchsterFeierlich-
keit. Sie erfülltjede Figur des Bildes, vor allem die
beiden Hauptgestalten. Zum köstlichsten gehören
die Hände, die jede Seelenregung aufs feinste
andeuten. Alles ist voller Leben, aber es ist ent-
rückt dem irdischen Wesen, ein Abglanz himm-
lischer Hoheit und Herrlichkeit. — Am schönsten
und reinsten abrr kommt die Ausrrwählung zur
Würde der Gottesmutter auf jenen Bildern zum
Ausdruck, wo die Madonna mit ihrem göttlichen
Kinde allein dargestellt ist.

Die ältesten solcher Malereien stammen schon

aus dem zweiten Jahrhundert und sind in den
Katakomben zu finden. Als frühestes ist ein Fresko
anzusehen, das sich in der Grabkapelle der heiligen
Priscilla befindet. (Abb. 46.) Es wurde 1851
entdeckt. Maria trägt eine weiße, kurzärmelige
Tunika, ein leichter Schleier bedeckt ihr Haupt
und fällt über die Schultern herab. Zur rechten
Seite befindet sich ein Jüngling; er trägt eine
Schriftrolle in drr linken Hand und zeigt auf den
Stern, der das Haupt des Christusbildes bestrahlt.

Man hat geglaubt, in
dieser Figur den Pro-
pheten Jsaias sehen
zu sollen, der in der
Finsternis der Vorzeit
Maria im Strahlen-
kranze sah, „als die
Jungfrau, die einen
Sohn gebären werde,
welcher sein soll das
große Licht, das für
jene aufgeht, die im
Schatten des Todes
fitzen". Vielleichthan-
delt es sich auch um
den Engel der Ver-
kündigung. Wie der
berühmte Katakom-
benforscher de Rossi
meint, würde es wohl
kein großer Jrrtum
sein, anzunehmen, daß
diese Madonna noch
unter den Augen der
Apostel selber gemalt
wäre; doch dürfte das
jedenfalls zu weit ge-
hen. Auch hat diese
ehrwürdige Erstliicgs-
darstellung nicht den
Wert eines wirklichen
Marienporträts. Der
heilige Augustin und
nach ihm der heilige
Ambrosius versichern
mit Bestimmtheit, daß
uns die Gesichtszüge
der heiligen Jungfrau nicht überliefert find. Ein
solches Porträt Aiariens hat aber das christliche
Volkauch nichtnötig. Wirwissen, daß sie das höchste
Jdeal unsichtbarer, geiftiger Schönheit, makellosen
Reinheit und Heiligkeit ist; denn „ganz schön bist
du, o Maria, und kein Makel ist an dir," so jubelt
ihr die christliche Kirche bereits in den ersten
Zeiten ihres Bestehens zu. Es läßtfich auch sür die
Echtheit der vielen Bilder, als deren Urheber die
Legende den heiligen Lucas nennt, kein geschicht-
licher Beweis beibringen. Denn schon daß jener
Evangelist ein Maler gewesen sei, ist weder durch
die Hl. Schrift noch durch die Überlieferung des
christlichen Altertums erhärtet; erst im zehnten
Jahrhundert taucht jene Meinung auf und hat

Abb S1

Sandro Bvltlcclli, Maria mit dem Jesukindc und dem hl. Johannes
(Text S. -12). Paris, Louvre
 
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