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Abb. 4S (Text S. 8 u. 30) Bildnis eines genucstschen Edclmanns
Martmez Montaktes, letzterer Lolyns de Mole.
Wie individualisiert der doch nicht minder vom
Geiste der Vornehmheit getragen porträtierende
Spanier den Bildhauer: die Hand zittert von
Leben; sie pausiert gerade. Das forschende Auge
lernt die Formen der Natur ab, memoriert gleich-
sam. Diese modellierende Tätigkeit des Gehirns
rvird im nächsten Augenblick von dem Jmpuls
der modellierenden Hand ausgelöst werden. —
Das gibt Velazquez. Und van Dyck? Einen tadel-
losen Kavalier, aber wie andere Kavaliere auch,
den edelgesinnten Mann als solchen gut treffend,
jedoch die blanke Stirne von keinem Gedanken
beschwert, ohne jede innere Beziehung zu seinem
künstlerischen Beruf erschaut. Lässig scheint er
Gleichgültiges mit jemand zu plaudern. Und nur
eine Nippesfigur auf einem Tisch deutet an, daß
Lolyns de Nole Bildhauer ist. Die Unterschied-
lichkeit in der Porträtkunst des Velazquez und
des van Dyck ist durch diese Beispiele gut illustriert.
Noch viel gewaltiger ist natür-
lich die Differenz in der Bild-
nismalerei des van Dyck und
des Rembrandt. Der unerbitt-
liche Realismus und die grau-
same Ehrlichkeit des letzteren,
die keine Furche, keine Warze
unterschlägt, die idealisierende
Typik und die schmeichelhafte
Veredelung des ersteren, die
zwar nicht bcwußt unehrlich ist,
aber nur Wahrheiten sagt, die
angenehm in die Ohren klingen,
und geschickt zu verheimlichen
weiß, was man nicht gern hört,
ein größerer Kontrast in Auf-
fassung und Ausführung der
Bildnismalerei ist kaum zu
denken. Nur was vom inneren
Menschen durch die Haut durch-
blinkte, das erkannte van Dyck
mit treffendem Auge, veredelte
es und gab es in der äußeren
Erscheiuung gut wieder, aber
bei der Epidermis, der spiegeln-
den Hautsläche, machte seine
Menschenschilderung halt. Was
wirklich für ein Kern darunter
lag, das hat ihn nicht interessiert,
das hat er nicht gesehen und
nicht gemalt. Und das war eben
seinen Auftraggebern geraderecht
so; diese begehrten nicht nach
dem Wesen, sondern nur den
Schein, die Repräsentation, ver-
langten von ihren Porträts eine
Vornehmheit, die nicht dem
Wert ihrer Persönlichkeit ent-
sprang, sondern durch den Zu-
fall der Geburt und des gesell-
Phot. F. Bruckmann schaftlichen Rangs, den sie ein-
nahmen, bedingt wurde. Das
richtet die Scheidewand auf
zwischen van Dyck und Tizian. Der Venezianer
malte „was einer ist," der Flame „was einer vor-
stellt". Tizians Menschen sind auch, die van Dycks
nur vornehm. Der Renaissancekünstler malte
adelige Menschen, der Sohn des Barock mensch-
liche Adelige. Auch Tizian übersah Zufälligkeiten
der Erscheinung, denn er wollte nur das Wesent-
liche, das Unveränderliche eines Menschen schildern,
das tausend Dinge ihm enthüllten: hier offenbarte
ihm eine Handbewegung das Geheimnis der Seele,
dort ein Lächeln, das Fassen eines Kommandostabs
oder das scheinbar gleichgültige Spielen mit einem
Handschuh. Weil aber aus dem ganzen Erden-
rund nicht zwei einander ganz gleiche Wesen-
heiten existieren und Tizian alles von der kolo-
ristischen Gesamtstimmung bis zum kleinsten
Detail herab der Jndividualität seines Modells
anpaßte, so sind auch nicht zwei seiner Porträts
absolut gleichartig. Von solcher Jndividualisierung
des Modells war van Dyck weit entfernt. Er
Abb. 4S (Text S. 8 u. 30) Bildnis eines genucstschen Edclmanns
Martmez Montaktes, letzterer Lolyns de Mole.
Wie individualisiert der doch nicht minder vom
Geiste der Vornehmheit getragen porträtierende
Spanier den Bildhauer: die Hand zittert von
Leben; sie pausiert gerade. Das forschende Auge
lernt die Formen der Natur ab, memoriert gleich-
sam. Diese modellierende Tätigkeit des Gehirns
rvird im nächsten Augenblick von dem Jmpuls
der modellierenden Hand ausgelöst werden. —
Das gibt Velazquez. Und van Dyck? Einen tadel-
losen Kavalier, aber wie andere Kavaliere auch,
den edelgesinnten Mann als solchen gut treffend,
jedoch die blanke Stirne von keinem Gedanken
beschwert, ohne jede innere Beziehung zu seinem
künstlerischen Beruf erschaut. Lässig scheint er
Gleichgültiges mit jemand zu plaudern. Und nur
eine Nippesfigur auf einem Tisch deutet an, daß
Lolyns de Nole Bildhauer ist. Die Unterschied-
lichkeit in der Porträtkunst des Velazquez und
des van Dyck ist durch diese Beispiele gut illustriert.
Noch viel gewaltiger ist natür-
lich die Differenz in der Bild-
nismalerei des van Dyck und
des Rembrandt. Der unerbitt-
liche Realismus und die grau-
same Ehrlichkeit des letzteren,
die keine Furche, keine Warze
unterschlägt, die idealisierende
Typik und die schmeichelhafte
Veredelung des ersteren, die
zwar nicht bcwußt unehrlich ist,
aber nur Wahrheiten sagt, die
angenehm in die Ohren klingen,
und geschickt zu verheimlichen
weiß, was man nicht gern hört,
ein größerer Kontrast in Auf-
fassung und Ausführung der
Bildnismalerei ist kaum zu
denken. Nur was vom inneren
Menschen durch die Haut durch-
blinkte, das erkannte van Dyck
mit treffendem Auge, veredelte
es und gab es in der äußeren
Erscheiuung gut wieder, aber
bei der Epidermis, der spiegeln-
den Hautsläche, machte seine
Menschenschilderung halt. Was
wirklich für ein Kern darunter
lag, das hat ihn nicht interessiert,
das hat er nicht gesehen und
nicht gemalt. Und das war eben
seinen Auftraggebern geraderecht
so; diese begehrten nicht nach
dem Wesen, sondern nur den
Schein, die Repräsentation, ver-
langten von ihren Porträts eine
Vornehmheit, die nicht dem
Wert ihrer Persönlichkeit ent-
sprang, sondern durch den Zu-
fall der Geburt und des gesell-
Phot. F. Bruckmann schaftlichen Rangs, den sie ein-
nahmen, bedingt wurde. Das
richtet die Scheidewand auf
zwischen van Dyck und Tizian. Der Venezianer
malte „was einer ist," der Flame „was einer vor-
stellt". Tizians Menschen sind auch, die van Dycks
nur vornehm. Der Renaissancekünstler malte
adelige Menschen, der Sohn des Barock mensch-
liche Adelige. Auch Tizian übersah Zufälligkeiten
der Erscheinung, denn er wollte nur das Wesent-
liche, das Unveränderliche eines Menschen schildern,
das tausend Dinge ihm enthüllten: hier offenbarte
ihm eine Handbewegung das Geheimnis der Seele,
dort ein Lächeln, das Fassen eines Kommandostabs
oder das scheinbar gleichgültige Spielen mit einem
Handschuh. Weil aber aus dem ganzen Erden-
rund nicht zwei einander ganz gleiche Wesen-
heiten existieren und Tizian alles von der kolo-
ristischen Gesamtstimmung bis zum kleinsten
Detail herab der Jndividualität seines Modells
anpaßte, so sind auch nicht zwei seiner Porträts
absolut gleichartig. Von solcher Jndividualisierung
des Modells war van Dyck weit entfernt. Er