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Die Kunst dem Volke <München> — 1924 (Nr. 13 Nachdruck)

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Waal, Anton de: Ein Besuch im Vatikan
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15

Nun hatte ich eigentlich für diesen Tag genug
und übergenug; auf den mächtigen Eindruck
dieser Audienz mußte auch der höchste Kunst-
genuß wie Wasser in feurigen Wein fallen; allein
der Prälat, der uns erwartete, wie die Begierde
meiner Begleiter nach Raffaels Schöpfungen
nötigten mich, ihnen nachzugeben. Und es war
wahrlich kein Wasser nach seurigem Wein. Alles
Große ist ja geistesverwandt, und wenn der größte
Malerfürst aus seinen unsterblichen Werken redet,
dann kann das kein Mißklang zu den Worten des
Priesterkönigs auf dem Apostolischen Stuhle sein.

„Sparen Sie
sich den unteren
Teil der Log-
gien für einen
andern Besuch
auf", sagte der
Prälat; „es ge-
schiehtnichtohne
Eigennutz,
wenn ich Sie
jetzt in die
Stanzen Raf-
faels führe, um
einer so kunst-
verständigen
Erklärung zu
lauschen, wie
unser HerrPro-
fessor sie uns
geben wird."

III.

Die

Stanzen.

Abb.21 ^Text S. 17^ Dlakonntswe'che des hl. Stephaniis

^iapelle Nicolaus V. — 8nln äi Oonstnntino;
8nin äeli' ineenäio; 8n1n äi Mioäoro;
8tan8in äelln 86Anntni-n (äelln äispntn).

„Es ist das große Sank'tuarium der christlichen
Kunst, das ich nie ohne eine heilige Ehrsurcht
betrete," sprach der Professor, und seine Augen
leuchteten; „die alten römischen Kaiser haben sich
durch Triumphbögen, durch die Anlage von
Foren, durch den Riesenbau der Thermen ver-
ewigt; das herrlichste Monument, das je ein
Kaiser, ein Papst sich gesetzt, hat Julius II. sich
in diesen Sälen errichtet. — Jch wandere aller-
dings nicht", fuhr er fort, „der Reihe nach von
Saal zu Saal, wie es die Fremden an der Hand
ihres Buches tun müssen; meine Geleiterin ist die
Geschichte, die der Kirche von den Tagen
der Verfolgung bis auf die Gegenwart, und die
der wiedererwachten K u n st von Frü Angelico
bis zu Podestis Jmmaculata."

Beginnen wir also mit einer Kapelle, die,
neben den mächtigen Sälen nachher, mich an-
mutet, wie eine Grabkammer in den Katakomben
neben den herrlichen Domen der Christenheit.
Nicolaus V. erbaute sie um das Jahr 1450 als
die päpstliche Hauskapelle und ließ sie durch den
bereits sechzigjährigen Sohn des hl. Dominicus,
Frü Angelico, mit Szenen aus dem Leben der
heiden Erzdiakone Stephanus und Laurentius
ausmalen'). Kaum je mag ein Maler an einer
zum Gebet und Gottesdienst bestimmten Stätte
mehr zum Gemüte gesprochen haben, als der

greise Kloster-
bruder als ge-.
reifter Künstler
unterGebet und
Arbeithiergetan
hat. „Ein gol-
diger Abglanz
leicht gedämpf-
ten Lichtes ruht
an sonnenhellen
Tagen auf den
Fresken der
kleinen Nico-
lauskapelle, ein
Allerheiligstes
der Kunst von
so geschlossenem
Charakter, von
so weihevoller
Stimmung, daß
keinBesucher sich
dem frommen
Zauber FrüAn-
gelicos entzie-
hen kann^)."
DieMosaiken in
den Absiden der
alten Basiliken
bringen regel-
mäßig als Krö-

nung der ganzen Komposition die Bilder der vier
Evangelisten, als die Vermittler der göttlichen
Offenbarungen im Christentum; auch Frn Ange-
lico setzt sie in das Gewölbe seiner Kapelle und
läßt sie niederschreiben, was ein Stephanus und
Laurentius durch die Tat im Leben und im
Sterben ausgeübt haben (Abb. 20). — Die obere
Bilderreihe bietet uns Szenen aus dem Leben
des hl. Stephanus, die untere ist dem hl. Lau-
rentius gewidmet; in Stephanus erscheint uns der
gottverklärte Priester vor dem Hohen Rate; in
Laurentius, in anmutigerer Stimmung, der Vater
der Armen, — in beiden die glorreichen Blut-
zeugen, die durch ihr Martyrium Jerusalem und
Rom verherrlicht haben.

„Betrachten Sie in dem Bilde dort oben",

0 Die Beato-Angclico-Monographic der „Kunst dem
Volke" enthält mehrere Abbildungen aus der Kapclle
Nicolaus V.

") Steinmaun, Rom in dcr Renaissance, S-12.

Phot. Andcrson
 
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