Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst dem Volke <München> — 1924 (Nr. 13 Nachdruck)

DOI Heft:
Waal, Anton de: Ein Besuch im Vatikan
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.21940#0025
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
23

Abb, 30 <Text S.2S>

Rnffcicl, Messe non Bolsena

Phot, Alinari

gegeben, denen er Gestalt und Leben einflößen
wird; zwei Jahre lang ist sein Geist unablässig
oon den Gesamtkompositionen, den Gruppen, den
Einzelsiguren in Stellung und Ausdruck erfüllt
gewesen, bis das künstlerische Ahnen Gestalt und
Bewegung gewann und alles und jedes sich an
den Platz stellte, den die großen Grundgedanken
seiner wunderbaren Farbendichtung ihm an-
wiesen, Weit ausgreifend führt der Meister zu-
nächst in einem Bilde aus dem Alten Testamente
die durch Himmelsmacht vollstreckte Vertrei-
bung Heliodors aus dem Tempel zu Jeru-
salem vor, wie es im dritten Kapitel des zweiten
Buches der Machabäer erzählt wird (Abb, 27),
Seleukus, der König von Asien, begierig nach den
Reichtümern des Tempels, sandte seinen Schatz-
meister Heliodorus, sich derselben zu bemächtigen,
Vergebens Hielt ihm der Hohepriester Onias vor,
daß die im Tempel niedergelegten und seinem hei-
ligen Schutze anvertrauten Gelder Eigentum von
Witwen und Waisen seien: Heliodor drang, von
seinen bewaffneten Satelliten begleitet, in das
Heiligtum. Aber nun erscheint in goldenerRüstung
ein gewaltiger Reiter, dessen Roß die Hufe der
Vorderfüße gegen den zu Boden stürzenden
Heliodor schlägt. Den Reiter begleiten zwei Jüng-
linge mit blitzenden Waffen und treiben die Tem-
pelschänder von dannen. Der Künstler stellt in
den Hintergrund den Hohepriester Onias, der mit
dem Volke zu Gott um Hilfe fleht. Entsetzt durch

die himmlische Erscheinung lassen die Begleiter
Heliodors die Schätze fallen, die zerstreut auf der
Erde liegen. Eine Gruppe von Frauen sieht links
erschrocken dem Vorgange zu. — Nun aber rückt
der Künstler in einer höchst geistreichen Verbin-
dung das Vergangene in Nie Gegenwart, indem
er Papst Julius II., hoch auf dem Tragsessel,
Zeuge des himmlischen Strafgerichtes sein läßt.
Jn demselben Jahre 1512, wo Raffael die Aus-
malung dieses Saales begann, tagte das Konzil
vom Lateran, das durch eine Reihe von Verord-
nungen aus dem Tempel der Kirche die Laster
und Mißbräuche hinaustreiben sollte, welche die
goldenen Schätze der Tugend und Heiligl'eit be-
drohten, die in ihr hinterlegt sind.

Das Gemälde über dem Fenster, Petrus aus
dem Kerker des Herodes durch einen Engel
hinausgeleitet (Abb. 28), fügt dem alttestamenili-
chen Bilde ein weiteres Zeugnis, aus der Urkirche,
für das schützende Walten Gottes über seine Kirche
hinzu. Durch das Gitter des Kerkers schauen wir
in das von der Engelerscheinung hell erleuchtete
Jnnere, wo neben den schlafenden Wächtern der
Himmelsbote die Ketten des Apostels löst, um ihn
in die mondhelle Nacht hinauszuführen. — Auch
auf diesem Gemälde bilden zeitgenössische Er-
eignisse den Hintergrund. Am Ostersonntag,
11. April 1512, war das päpstlich-venezianische
Heer bei Ravenna durch den Feldherrn Lud-
wigs XII. von Frankreich, Gaston de Foix, besiegt
 
Annotationen