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Die Kunst dem Volke <München> — 1924 (Nr. 13 Nachdruck)

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Waal, Anton de: Ein Besuch im Vatikan
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28

Abb. 35 (Text S. 3 u. 34) Turm Lco IV. Phot. Alinari

körperlich schon gebrochen, hatte Julius noch an
der Fronleichnamsprozession des Jahres 1512
teilgenommen; es war die letzte große kirchliche
Funktion, die er vornahm. Am 20. Februar
empfing er mit höchster Andacht das heiligste
Sakrament; in der Nacht auf den 21. Februar
1513 hauchte er seine starke Seele ausH. —

Jm kirchlichen Gerichtsverfahren unterscheidet
man Urteile nach dem strengen Rechte und Ent-
scheidungen auf dem Gnadenwege; je nachdem der
Papst die einen oder anderen mit seinem Namen
unterzeichnet,heißt die Unterschrift^iAnutriru zn-
stitlns oder slAriutrii's.

Zrutlus. Julius II. be-
auftragte 1508 den in seinem
25. Lebensjahr aus Florenz
berufenen Raffael mit der
Ausmalung des Saales, in
welchem der Papst selber
auf dem Gnadenwege ent-
scheiden wollte. Daher der
Name 8tnn2iu clslln
ssAnutiii'u (Abb. 31).

Hier nun führt uns nicht
mehr ein historischer Faden;
es sind die vier freienKünste,

Philosophie und Theologie,

Dichtkunst und Rechtswifsen-
schast, die desMeisters Hand
verherrlichte.

0 Pastor,GeschichtederPäpste,

It. Band, S-7I3. Abb.36 (Text S.3S)

Wir ergötzen uns zuerst an den Medaillons
an der Decke, welche in Frauengestalten von ent-
zückender Anmut, umgeben von Putti, jene vier
Zweige höchsten geistigen Schaffens darstellen.
Die schönsten Figuren sind die der Poesie und
Theologie. Die Poesie (Abb. 32), die allein Flügel
hat, die jugendliche Stirne mit Lorbeer umk'ränzt,
die Harfe in der Linken, in der Rechten ein geöffne-
tes Buch, ist wie eine Sibylle, die, „vom Hauch der
Gottheit berührt" (uuiuluG ul't'tutui-, wie die
Jnschrift auf den Tafeln der beiden Engel
neben ihr heißt), Göttliches sinnt und, was sie ver-
nommen, den Menschenl'indern in heiligen Büchern
überliefert. — Aber wenn die Poesie nur wie von
oben „angehaucht" ist, dann hat und dann besitzt
die Theologie die Kentnis der göttlichen Dinge:
äiviiiui'iiiri ruriini uotitis,, und vorn-
übergebeugt zeigt sie mit ihrer Rechten nach unten,
weil sie die göttliche Offenbarung der Welt dort
tief unter den Wolk'en verkündet, über denen sie
thront. Aber der Schleier, der sie umflattert,
deutet an, daß all unser theologisches Wiffen
immer doch bloß eine iiotitiu ist, erst droben
wird die Erkenntnis zum entschleierten Schauen
iverden.

Itnser Professor lenkte unsere Blicke alsdann
auf die über dem Fenster gemalte Jurisprudenz,
wo Kaiser Justinian einem Rechtsgelehrten die
Pandekten des weltlichen, Papst Gregor IX. einem
Advokaten der Kurie die Dekretalen des geiftlichen
Rechtes überreicht. Es ist inhaltlich die schwächfte
Komposition; aber dem Meister waren die Hände
gebunden durch die ungünstigen Raumverhältnisse
über und neben dem Fenfter, gebunden wohl auch
durch bestimmte Weisungen, die der hohe Auf-
traggeber ihm erteilt hatte. — Lieber verweilen
wir bei dem Bilde der Poesie an dem gegenüber-
liegenden Fenster, das Apollo mit den Musen
und den größten Dichtern der Vergangenheit vor-
führt. Eine unbeschreibliche Anmut liegt in dem
Ganzen: hier hat Rafsael offenbar mit herz-

Rotunde vor dem Kasino Pius IV.

Phot. Alinari
 
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