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Die Kunst dem Volke <München> — 1924 (Nr. 13 Nachdruck)

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Waal, Anton de: Ein Besuch im Vatikan
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https://doi.org/10.11588/diglit.21940#0045
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herangetreten sein mag. Der Fußboden hier,
wie auch weiterhin, ist nach alten Majolika-
Mustern unter Leo XIII. erneuert worden.

Durch eine schmale Marmorpforte mit denr
Wappen Nicolaus V. treten wir in den zweiten,
durch zwei Pilaster mit übergelegtem Bogen in
zwei Hälften geteilten Saal, den man, nicht ganz
mit Recht, den Saal des Lebens Mariä nennt
(Abb.46); an 'den Bogen mit einer überaus
feinen Stuckdekoration schließt sich beiderseits das
Gewölbe an, mit Prophetenbildern und Wappen.
Ein reicher Marmorfries scheidet die unteren
Wandflächen von der oberen, wo die Hauptfefte
des Kirchenjahres, Verkündigung Mariä und
Geburt des Heilandes (Abb. 48), Anbetung der
Weisen, Auferstehung und Himmel-
fahrt Christi, Sendung des hl. Gei-
stes und Himmelfahrt Mariä
(Abb. 47) in der der umbrischen
Schule geläufigen Auffaffung dar-
gestellt sind. Bei der Auferstehung
hat Pinturicchio mit eigener Hcmd
das Bild des in vollem Ornat neben
dem Sarkophage knienden Papstes
Alexander VI. gemalt; aus allen
Bildern bilden anmutige Land-
schaften den Hintergrund.

Jn den Heiligenlegenden des
folgenden Saales (Abb. 49) redet
Pinturicchio selber zu uns; nur
die Darstellungen an der Decke
(Abb. 50) sind von einem seiner
Schüler gemalt, aber man fragt
sich vergebens, was die ägyp-
tische Mythe von Jsis und Osiris
über jenen Szenen aus dem Leben
der Heiligen für einen Sinn
habe. — Ünsern Blick fesselt zu-
nächst das Bild dem Fenster gegen-
über mit der hl. Katharina
(Abb.51, die vor dem Kaiser Maxi-
minian die Philosophen von der Wahrheit dcr
christlichen Lehre überzeugt. Die jungfräuliche
Bekennerin, die furchtlos vor dem Herrscher die
Beweise an den Fingern aufzählt, ist eine über-
aus anmutige Erscheinung; im Eifer der Dispu-
tation ist ihr der Mantel halb von der Schulter
heruntergesunken, auf die das volle Haar nieder-
wallt. Hinter ihr weist ein Philosoph auf ein Buch
hin, das ein Knabe hält: Wo ist die Wahrheit?
Jn den Worten der Jungfrau, oder in den Lehren
der Philosophen? — Höchst merkwürdig hat nun
Pinturicchio um diese Szene aus frommer Le-
gende als Zeugen zwei zeitgenössische Persönlich-
keiten mit ihrem Gefolge gruppiert, links den von
seinem Throne vertriebenen Herrscher Andreas
Palaeologus von Morea, der am päpstlichen Hofe
Zuflucht gesunden, rechts mit seinem Jagdgefolge
den zu Rom in Haft gehaltenen Türkenprinzen
Dschem, den Bruder des Sultans Bajazet; als
Hintergrund malte der Meister den Triumph-
bogen Constantins mit der dem Papste geltenden

Weiheinschrift ?X6I 8 OVill>D O R I, dem För-
derer des Friedens. — Das Gemälde bildet also
ein recht buntes historisches Durcheinander, für
das man vergebens den höheren, vereinigenden
Gedanken sucht; aber das Ganze ist so anmutig,
so harmonisch, daß man seine Frage lieber unter-
drückt, um nur ganz und einzig das Bild selber
auf sich wirken zu lassen.

Die beiden heiligen Einsiedler Antonius
und Paulus auf dem anstoßenden Bilde bre-
chen beiderseitig das Brot, das der oben davon-
fliegende Rabe gebracht hat, ein ganzes Brot,
während er bisher dem hl. Antonius nur ein hal-
bes täglich zu bringen pflegte. An einem aus
dem Felsen hervorragenden Aste hängt das An-

tonius-Glöcklein. Hinter dem hl. Eremiten stehen
drei Versucherinnen, üppige Weiber mit Teufels-
hörnern, gegenüber auf der aüderen Seite die
Schüler der „Väter in der Wüste".

Um das Bild über dem Fenster, das Mar-
tyrium des h l. Sebastianus besser ge-
nießen zu können, schloß der Prälat die Blen-
den des Fensters und entzündete die elek-
trischen Flammen, die von der Decke herab
in einer Schale verdeckt liegen und nun ein wun-
derbar neues Licht auf die obere Hälfte der ge-
samten Dekoration werfen (Abb. 52). Jetzt erst
erkennt man die Schönheit der Figur des hl. Blut-
zeugen, auf den von beiden Seiten die Scharf-
schützen ihre Pfeile entsenden. Eine gebrochene
Säule, die Ruinen des Kolosseums und rechts
der Palatin mit der Kirche des hl. Sebastian
verbinden Vergangenheit und Gegenwart.

Das Gemälde mit dem Turme, aus welchem,
wie auch aus dem Katharinabilde, zur Hebung
des Effekts Stuck der Vergoldung unterlegt ist,

Abb. S5 (Text S. 44> Scinl des Orsäo Phot. Alinari

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