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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 4
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Gustav, Leopold: Münchener Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0070
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56

4- D! Aunst-Halle

Nr. §

VII. ^tisskelluyA clep Wieyel-
„Seressioy."
Von Alfred Gold, Wien.

achdem die „Sezession" einige Jahre lang ein sehr
" beliebtes Gesprächsthema Wiens gewesen, trat
nunmehr ein leichter Rückschlag ein. Ueber die gegen-
wärtige Ausstellung sprach man nur wenig vor der Er-
öffnung und auch nachher blieb es stiller in den Kreisen
der sogenannten öffentlichen Meinung, als sonst nach den
sezessionistischen Firnißtagen. Und doch hat gerade mit dieser
Ausstellung die Wiener Sezessionihre eigentliche Blüthe erreicht.
Nicht durch die Summe der diesmal vereinigten Kunst-
werthe. vielmehr ist sa von reiner, sogenannt hoher Kunst
bloß verschwindend wenig zu sehen. Lin paar Pastelle
und Aquarelle, von Andri, Myrbach, Nowak, Auchentaller
und Tichy, von Aman Jean (von diesem die schönsten), von
Baertsoen, Khnopff, Raffaelli, Iettel und Dettmann, kann
kann man nur mit Hilfe des Katalogs herausfinden oder
im hastigen Vorübergehen gelegentlich in einer Lcke er-
kennen. Sie sind mehr zur Ausfüllung des spärlichen über-
flüssiger: Raumes verwendet als wirklich zur Schau gestellt
worden. Sie sind Folie. Und gerade, was sonst bloß als
Hilfsmittel in den Hintergrund zu treten pflegt, ist
diesmal Hauptsache: dekorative Ausstattung und Kunst-
gewerbe.
Aber auch vor: einer eigentlich kunstgewerblichen Aus-
stellung kann man nicht reden oder wenigstens nicht in
dieser Seite der Ausstellung ihre Errungenschaft, ihren
Schlager, ihren „ Sezessionismus" sehen. Ausstellungen
modernen Kunstgewerbes sind in Wien längst nicht mehr
unbekannt, und was unser Industriemuseum aus diesem
Gebiet irr den letzten Jahren veranstaltet hat, v . r sogar
systematischer, vielleicht reichhaltiger als das nunmehr von
der Sezession Gebotene. Etwas Anderes bildet den Ruhmes-
titel der diesjährigen Veranstaltung, etwas, was über den
Linzelwerth der Kollektion hinausgeht: nämlich die Kol-
lektion selbst als solche, die Zusammensetzung, der Ge-
sammteindruck der Interieurs, in denen man sich hier
bewegt.
Zum Theil kannten wir schon diese starke Seite der
wiener Sezessionisten. Sie haben ein Haus, in dem sie
durch Aufführung von TapetenwänLen, durch Linnendecken,
durch Holzgerüste und Lichtvertheilung jeder Ausstellung
einen neuen originellen Charakter geben können. Und sie
legen als echte Schüler Gtto Wagners und Grnamentiker
auch sehr viel Werth darauf. Aber fo originell und
wirkungsvoll wie diesmal sind sie noch nicht gekommen.
Ein großes, Helles, freundliches Atrium in der Mitte und
in einer äußeren Gallerie ringsum eine Flucht kleinerer
und größerer Kammern, in welche fick als Hintergrundab-
schluß der Vorhalle eine alkovenartige Nische einfügt —
das haben wir als den gemeinsamen Typus auch schon in
allen früheren Ausstellungen der Sezession gesehen. Auch
die wechselnden Raumausgestaltungen mit hellgetönten,
xatronirten Wollstoffen von Hoffmann und Moser sind
bekannt. Aber eines tritt diesmal hinzu, und das ist das
überraschend Neue: diese Raumausgestaltungen wurden
nur einfach durch Dinge ergänzt und gehoben, die man -
wie es fast aussieht, eben nur zu diesem Zwecke — ausge-

hängt und ausgestellt hat. Schreibtische, Bücherschränke'
Waschkästen, Schmuckkasseten, Zimmerskulxturen, Kamine
und Vasen scheint man nur benutzt zu haben, um den
leeren Raum, über den ja nun einmal hinweggetäuscht
werden sollte, so angenehm, so amüsant und geschmackvoll
als möglich zu verzieren. Man spricht heute viel von
Raumkunst, als einer geheimnißvollen, über das Kunst-
gewerbe hinausragenden Phantasiethätigkeit: nun hat die
Sezession dieses Geheimniß in einem glänzenden Beispiel
entschleiert.
Der ganze konventionelle Ausstellungsrahmen ist mit
einem Schlag gesprengt. Nichts mehr vom Museum, von
der Gallerie. Man setzt sich in Stühle, die Ausstellungs-
gegenstände sind, beugt sich über ausgestellte Tische, um
Blumen in gleichfalls ausgestellten Vasen zu betrachten
oder in Büchern und Mappen, die auch ihrerseits Aus-
stellungsgegenstände sind, zu blättern. Und wenn man
eingerahmte Zeichnungen oder aufgerichtete Plastiken oder
in Vitrinen ausgebreiteten Schmuck erblickt, so sieht man
doppelt so freudig und aufmerksam danach, weil man sich
dazu nicht angehalten fühlt, sondern eine unerwartete
Zerstreuung darin findet. Man ist in einer eleganten,
entzückenden Wohnung und mustert sie mit Vergnügen.
was bedeutet das, so wird man nun am Ende fragen,
für die Kunst und den Kunstgenuß? Nur:, eines gewiß:
daß es Stimmung verbreitet. Eine solche Ausstellung lehrt
und unterrichtet nicht eigentlich, aber sie wirbt für die
Kunst. Und freilich vor Allem für die moderne Kunst;
denn jede Kunstepoche, glaube ich, hat ihre eigene Stimmung,
durch die sie warm und lebendig gehalten wird, wenn
wir jene völlig kennen wollen, müssen wir diese in uns
aufnehmen. Die wiener Sezession scheint um dieses wichtige
Gesetz zu wissen; denn nichts erstrebt, nichts beherrscht sie
so, als eben dies: sie macht für die moderne Kunst
Stimmung. Ihre Arrangeure, Glbrich und die schon ge-
nannten Hoffmann und Moser, sind in diesem Bestreben
freilich auch oft schon zu weit gegangen, indem sie zu laut
und lärmend wurden. Diesmal siegen sie durch guten
Geschmack aufs Glänzendste. Was Van de Velde, der bel-
gische Bildhauer Minne und der Londoner Kunsthand-
werker Ashbee geschaffen, wird mit diskreten und darum
doppelt wirksamen Hilfsmitteln so glücklich zur Geltung
gebracht, als es dies verdient. Und selbst An noch nicht
ganz aufgeklärter schottischer Sezessionismus, von Herrn
und Frau Mackintosh in einem eigenen Zimmer dargeboten,
profitirt von dieser allgemeinen Wirkung und besticht.
Kl
Uüycbeyei- Gi-iek.
/ »II er außerhalb der beiden großen Schaustellungen
des Sommers einen Begriff von heutiger
Münchener Kunst erhalten will, wird dies eher in jeder
anderen deutschen Großstadt, die einen Kunst-Salon auf-
weist, vermögen, als in dem hiesigen Kunstverein. Zur
Zeit fängt es wieder an, etwas besser zu werden. Da
ist z. B. ein sehr reichhaltiger Nachlaß von A. Waagen
ausgestellt. Die kleinen Bilder und Studien schildern die
Gebirgswelt; sehr sauber und ehrlich gemalte Sachen,
welche eine warme Naturliebe künden, freilich auch
 
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