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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 13
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Galland, Georg: Wilhelm Bode über die moderne Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0232
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200

Die (Kunst-Hal le

Nr. s3

Wilhelm vocle
über Sie moüerne vunst.
(Schluß.)
^M^:ndlich sind in der vorliegenden Abhandlung
die wenigen Sätze über das moderne Ann st-
Handwerk sehrbemerkenswerth. DerDekora-
teur habe neuerdings eigentlich auch die Leitung des
Baues in die Hand genommen. Auch der neue Rurs im
Runstgewerbe stehe unter dem gefährlichen Zeichen
der Theaterdekoration. Früher habe der Ruust-
gewerbler in dienender, abhängiger Stellung ge-
standen, jetzt sei er der souveräne Herrscher im
Bereiche der Hausausstattung, und alle übrigen
Rünstler, denen er Gesetze vorschreibe, müssen sich
als Mitarbeiter unterordnen, ja, manchmal selbstlos
verdrängen lassen, wenn er die Zimmerwände allein
für sich in Anspruch nimmt. Sie haben ihn zwar
erst selbständig gemacht, ihn befreit von knechtischer,
ost mißverstandener Nachahmung der verschiedensten
alten Stile. Und dafür dankt er ihnen, wie die
Geister dem Zauberlehrling, der jene rufen aber
nicht bannen konnte.
Aber wie vermag diese „angewandte" Runst
ihre eigenen Bahnen zu gehen? fragt unser Autor.
Hat sie gehalten, was die ersten Anfänge versprachen?
Bode antwortet mit einem lauten Nein! Und er
begründet sein hartes Urtheil durch eine Betrachtung,
wie sie so rückhaltlos selbst keiner der eingesleiscbten
Gegner der Moderne gewagt hätte. Ts wäre
schade, auch nur einen Satz dieser Ausführungen,
deren Klarheit und Offenheit den Schreiber nur
ehren können, zu unterdrücken:
„Als vor wenigen Zähren ein paar junge
Rünstler bei uns, wenn auch nicht ohne Einfluß von der
älteren Strömung jenseits des Kanals und des
Ozeans, die ersten schüchternen versuche machten,
frei von der alten Tradition aus eigener künstlerischer
Phantasie durch einfache konstruktive Formen und
eine der Natur abgelauschte, vor Allem auch
malerischen Anforderungen entsprechende Dekoration
das Gewerbe wieder neu zu beleben, da haben wir
diese Arbeiten freudig begrüßt als die ersten Zeichen
einer eigenartigen frischen Entwickelung, die in
England, und namentlich m Amerika, mannigfache,
vielversprechende Blüthen gezeitigt hatte. Aber
damals schon ist daraus hingewiesen worden, welche
Gefahren diese neue Richtung gerade bei uns in
sich birgt. Die deutsche Kleinstaaterei, die beschränkte
Stellung des Einzelnen und der geringe Wohlstand
haben bei uns der Ausbildung gemeinsamer Be-
dürfnisse in Bezug auf das Wohnhaus und die
Einrichtung, für die das Gewerbe in erster Linie zu
arbeiten hat und woran es sich allein künstlerisch
ausbilden kann, sehr hintangehalten; und wo ein
fester Typus sich entwickelt hat, wie in einzelnen

großen Städten, namentlich in Berlin, ist es der des
Zinshauses in seiner weder praktisch, noch sanitär
günstigen Form, die eine künstlerische Gestaltung mehr
oder weniger ausschließt. Der neue Kurs hätte in
erster Linie vorhandene Bedürfnisse berück-
sichtigen und deren Entwickelung in jeder weise
fördern müssen; seine Jünger, fast ausnahmlos junge
Maler, Kinder aus dem Volke, die bedürsnißlos aus-
gewachsen sind, kennen dagegen den Komfort und seine
mannigfachen Anforderungen nicht und haben ihren
architektonischen und dekorativen Sinn nur zu häufig
in den Bierstuben und Kasss ausgebildet. Den
Möbeln, Vorhängen, Geräthen aller Art, die sich
heute aller Orten bei uns aus Ausstellungen breit
machen, sieht man es daher leider nur zu ost an,
daß sie der ungezügelten Phantasie von Natur-
burschen entsprungen sind, die durch barocke Ab-
sonderlichkeiten einander zu überbieten suchen."
„Daß die geraden, harten Formen, die starken
Ausladungen und die scharfen Profile der Renaissance,
an denen sich das Auge müde gesehen, der Körper
blau gestoßen hatte, aus Strengste verbannt wurden,
ist begreiflich; daß die Ornamente eingeschränkt, daß
vor Allem die Verhältnisse und die statische Be-
deutung betont wurden, war nur zu billigen. Aber
seither hat man angesangen, ähnlich wie in der
Architektur, auch die Rücksicht aus die Verhältnisse
absichtlich außer Acht zu lassen und auch die Profile
möglichst über Bord zu werfen; für die Ornamentik
hat man, um ja nicht an Altes zu erinnern, Vor-
bilder in der Natur gesucht, die zum Theil gar nicht
in Beziehung zu bringen sind zu den Stücken, an
denen sie verwendet werden, deshalb aber gerade
in um so phantastischerer und verschwenderischer-
weise daran angebracht werden. Ze ungebildeter-
em solcher junger Künstler ist, je mehr er es ver-
achtet, die alte Kunst auch nur für die Vergangen-
heit anzuerkennen, um so rücksichtsloser ist er in
dem leider echt deutschen Streben, seine Kunst als
Privatstil auszubilden, diesen für den einzig
richtigen zu halten und dafür Propaganda zu machen,
wenn man solchen Ausartungen gegenüber ver-
ächtlich von Schissskojenstil, vom Bandwurm-
und Kröten orna ment gesprochen hat, so war
man dazu nur zu berechtigt; die phantastischen Aus-
geburten, die wir jetzt ausschießen sehen wie die Pilze
nach dem Regen, verdienen solchen Spott. Obenein
sind dieselben nicht einmal wirklich originell; sie
scheinen nur so. Denn wenn man den Dingen etwas
aus den Grund geht, so entdeckt man, daß die ge-
schwungenen Formen doch im Rokoko und Barock
ihren Ursprung haben, daß die Dekorationen sehr-
häufig von dort entlehnt sind, oder in der Gothik,
in der romanischen Zeit, bei den Zapanern, Aegyptern
u. s. w. ihre Vorbilder haben und nur in wilder
Verzerrung und Vermischung angewendet
werden."
 
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