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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 18
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Neue Offenbarungen in der Kunst: eine kleine Blüthenlese
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Harrach, Max: Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0323

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Nr. (8

.—Die Aunst-Halle -z-—-

28s

Organe, das Auge, ruinirt wird. Durch «Brillen
werden die erkrankten und verbrauchten Organe unter-
stützt, und gleichen den Krücken für Gelähmte und
Gebrechliche. Um diesen unglücklichen Kranken nun
die Freude an den schönen Künsten zu erhalten, hat
sich eine wohlthätige, menschenfreundliche Sezession
gebildet, von der die künstlerischen Produkte der
äußersten Linken es dem erkrankten Organe möglich
machen, ihre Schöpfungen zu genießen. Das gesunde
Auge muß sich fast schließen, um sich in ein krankes
Auge hineinzudenken und diese humane Richtung
verständig würdigen und schätzen zu können.
Hoffen wir, daß der Lohn für ihre Bemühungen
nicht ausbleibt."
Sollte der alte Freund Bäcklins sich nicht den
Scherz einer der boshaftesten Satiren, die je wider
eine Kunstrichtung aeschrieben, hier geleistet haben?
X
Zur Nackrickl.
Wegen Raummangels mußte die Fortsetzung der
Berliner Kunstausstellungs - Berichte auf die
folgenden Hefte zurückgestellt werden. Vie HeÄ.
X
Vie Hu55tellung aer
varnmäitter WiMlerkolonie.
Don Max Harrach, Frankfurt a. RI.
(Schluß.)
ollen wir nun das künstlerische Fazit des gai izen
Ausstellungsunternehmens ziehen, so müssen
wir vor Allem das Programm der Siebener
etwas genauer analysiren. was bezweckt diese Aus-
stellung angewandter Kunst und die Gründung der
Darmstädter Künstlerkolonie in erster Linie? Sie soll dem
Grundsatz Geltung verschaffen, daß Jedermann sein
Haus und sein Zimmer nach seinem individuellen
künstlerischen Geschmack einrichten soll. And das,
was uns die „Siebener" der Darmstädter Kolonie
in ihrer Ausstellung vorführen, soll vorbildlich sein
für die angewandte Kunst unserer Zeit, als Doku-
mente deutscher Kunst.
Der hessische Großherzog Ernst Ludwig
hat das „Siebengestirn" zur gemeinsamen Arbeit be-
rufen. Er gab ihnen Arbeitsstätten, Freiheit der
Thätigkeit und stellte sie jenseits aller materiellen
Sorge und jeder amtlichen schlicht. Diese hochherzige
Kunstverständigkeit des jungen Fürsten verdient
wärmsten Dank und Anerkennung aller derer, denen
es wirklich um den freiheitlichen Fortschritt der Kunst
ehrlich ernst ist. Das Schlagwort bei Gründung des
ganzen Unternehmens aber war vor Allem und in erster
Linie: Hie Volkskunst!
Damit soll gesagt sein, daß die Grundsätze der
Kolonie maßgebend werden sollen für die Umge-
staltung und Bildung des allgemeinen Volksgeschmacks.
Ob aber die „Siebener" wirklich die Männer sind,
die diese schwierige, fast utopisch erscheinende Ausgabe

auszusühren vermögen, diese Frage dürste, wenn wir
von den vorzeitigen Triumphrufen und dem wohl-
feilen Lob der Tagespresse absehen, nicht bedingungs-
los zu bejahen sein.
Wahre Volkskunst muß aus dem Volke selbst
geboren werden. Aus der pariser Weltausstellung
von (867 war man eigentlich zum ersten Male aus
jene Anfänge traditioneller, häuslicher Volkskunst auf-
merksam geworden, die heute eine intensive Stütze
und Förderung seitens fast aller Museen sinder. Neben
einer reichen Sammlung von Nationaltrachten ver-
schiedenster Art, von denen viele, sei es durch die
eigenartige Behandlung der Spitzen, des Schmucks
oder der Stickereien, sei es durch ihre harmonische
Farbenwirkung, aussielen, war es vor Allem eine
Reihe Möbel, Stickereien, Töpfereien, Schmiede- und
Goldschmiedearbeiten, welche durch ihre einfache und
doch edle Form, durch ihre eigenartig originelle Mit-
wirkung, gleichwie durch die Sicherheit und Voll-
endung ihrer technischen Ausführung die Bewunde-
rung der Kenner erregten. Hierher gehörten u. A.
jene prächtigen, eigenthümlich geformten Keramiken
aus Südungarn und Slavonien, die Holzschnitzereien
aus dem Grödnerthal, des Goldschmieds Taftellanis
Sammlung von italienischen: Bauerngoldschmuck, jetzt
Eigenthum des South-Kensington-Museums in London,
und vor Allem eine Anzahl künstlerische Erzeugnisse
aus der deutschen Hausindustrie. Hier waren die
Keime für jene Art von Volkskunst, die sich an alte
Traditionen knüpft und der es erging wie dem
deutschen Märchen, das im Familienkreis durch Jahr-
hunderte von Mund zu Mund ging. Es nahm neue
Formen, neue Variationen an, das Motiv aber ist
das alte geblieben, es ruht als Kern darin und sagt
dein Forscher: Das war mein Anfang und so bin
ich geworden als Pflegling meines abgeschlossenen
Kreises.
Betrachten wir die Ergebnisse der Darmstädter
Kunstbestrebungen von diesem Standpunkt, so müssen
wir gestehen, daß ihrem bisherigen Einfluß aus die
Neugestaltung einer wahrhaft volksthümlichen
Kunst keine schwerwiegende Bedeutung zugemessen
werden kann. Sicherlich geben uns geradedie Darmstädter
Kolonisten werthvolle Anregungen zur modernen Neu-
belebung der angewandten Kunst. Aber die Vor-
bilder, die sie uns bieten, sind nicht schlackensrei, und
mit künstlerischen Kuriosas und Extravaganzen ist
dem Volke wenig gedient. Denn als Kuriosa müssen
die Versuche gelten, wie die „Siebener" und ihr An-
hang beispielsweise die Plakatkunst und die Schrift-
zeichen ausgestalten, wie sie die Schornsteine der
Künstlerhäuser mit Blumenranken verzieren und die
Farbenwirkung der äußeren Architektur durch Gegen-
sätze effektvoll zu gestalten versuchen. Als modernes
„Dokument deutscher Kunst" mag man die Ausstel-
lung und die Gründung der Darmstädter Kolonie
immerhin gelten lassen, schwerlich aber als Beispiel
moderner deutscher Volkskunst. Die Eigenart des
Kunstschaffens der „Siebener" wird sich bei der Ab-
geschiedenheit, in welcher die Kolonisten schaffen und
wirken, im Lause der Zeit sicherlich noch vertiefen.
Man darf hier wohl an den Ausspruch erinnern,
den der große Tonpoet Haydn that, als er nach
dreißig Zähren aus der Einsamkeit beim Fürsten
Esterhazy in Ungarn zurückkehrte: „Niemand in
meiner Nähe konnte mich an mir selber irre machen
und quälen, und so mußte ich Original werden ..."
Hier liegt wohl auch das Geheimniß jenes
Zaubers von Eigenart, der die Erzeugnisse der echten
 
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