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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 11
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Die Krisis der Darmstädter Künstlerkolonie
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Imhof, Franz: Berliner Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0196

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wollen. Welches die Gründe für dieſen überraſchenden
verlauf der Dinge ſind, mag man noch nicht offen darlegen.
So viel aber iſt ſicher, daß Einflüſſe am Darmſtädter Hof
zur Geltung gekommen ſind, welche unter Binweis auf
manches Ungeſunde, Erzentriſche, ja ſelbſt das Gefühl-
des Schicklichen Verletzende in dem Schaffen der Darm-
ſtädter Künſtler es vermocht haben, die Anfangs ſo
warmen Sympathien des Großherzogs zum Erkalten zu
bringen.

Den größten Theil der Schuld haben nach unſerer
Meinung die Künſtler ſich ſelbſt zuzumeſſen. Mit welcher
Selbſtherrlichkeit traten ſie oft auf. Man gebehrdete ſich
als Vertreter einer neuen künſtleriſchen Weltanſchauung,
verſchmähte es, von der Vergangenheit zu lernen, ſah mit-
leidig auf die Philiſter herab, die die neue Kunft nicht
begreifen und loben wollten. Fand doch jede Leiſtung
faſt ohne jede Ausnahme in den Aunſtzeitſchriften ihren
Bewunderer, der ſie in allen Tönen erhob. Talent,
und dazu hervorragendes, wollen wir in vielen Schöpfungen
gern anerkennen, aber es iſt zu oft mißleitet und bloßes
Ausdrucksmittel zu individuellen, phantaſtiſchen Einfällen
von Künſtlern geworden, die um jeden Preis etwas Neues,
noch nie Dageweſenes, Aufſehen Erregendes machen wollten.
Der von Wien herübergekommene Architekt Olbrich glaubt
aus ſeinem eigenen Geiſte heraus, ohne Anlehung an
irgend ein Bekanntes einen neuen Styl hervorbringen
zu können; man hat dafür den Spottnamen „Weaner
G'ſchnaß“ erfunden. Alun iſt zwar auch dieſe neue Kunſt
durchaus nicht ſo „vorausſetzungslos“, wie ſie ſich gebehrdet,
nur ſind die Motive oft etwas weit hergeholt; aber gerade
aus dieſem Streben heraus kommt ſo vieles rein Will-
kürliche, Effekthaſchende der neuen Kunſt. Dagegen hat
die freie Fortbildung und Neubelebung heimathlicher Stil-
überlieferungen weit Geſunderes geſchaffen — vor Allem
auch als Anſätze einer Volkskunſt —, als es die zum Spiel-
zeug der Laune erniedrigte Kunft ſo vielen Moderner ver-
mocht hat.

Wer den allen praktiſchen Anforderungen wider-
ſprechenden Ernſt-Ludwigsbau, das Ausſtellungsgebäude der
Künſtlerkolonie, erblickte, wurde von den Gffenbarungen
des Glbrichſchen Genius doch etwas betroffen. Zwei
Pylone, rieſengroße Steinfiguren, die Mannesgeſtalt voll-
ſtändig nackt, das Weib mit dem ſog. naſſen Gewande be-
deckt, beherrſchten die monotone Faſſadenwand. Die großen
Bronzefiguren von Boſſelt, zwei weibliche Idealgeſtalten,
die gepanzert, rieſengeflügelt auf Masken ſtehen, welche
wiederum aus Bronzeſtengeln hervorwachſen (von „Säulen“
kann man doch nicht ſprechen), wirken geſchmacklos trotz
aller Cüchtigkeit, die ſich im Einzelnen zeigt. Das war
der Eindruck, den der Beſchauer der Außenſeite dieſes
Gebäudes empfing ... und die Künſtler brauchten ſich
nicht zu wundern, wenn da ſelbſt Freunde der modernen
Kunſt mit dem Kopfe ſchüttelten oder gar kopfſcheu
wurden.

So hat denn die Großherzogliche Regierung moderirend
einzugreifen geſucht, ob mit Takt, ſoll nicht entſchieden
werden — aber der Künſtlerſtolz Mancher hat eine Bevor-
mundung ſeiner Selbſtherrlichkeit nicht ertragen mögen.
Auf die weitere Entwickelung der Darmſtädter Künſtler-
kolonie auf der Mathildenkök darf man geſpannt ſein. Ob
die Künſtler die ſo nake liegende Lehre daraus ziehen
werden, daß ſie eine ſchärfere Selbſtzucht üben müſſen
als bisher? Ob auch ihre Lobredner, ſtatt beſtändig

das Weihrauchfaß zu ſchwingen, einer vernünftigen Kritik
ihr Recht laſſen und den Muth haben werden, Maaßlofig-
keiten und Verfehlungen als ſolche deutlich zu kennzeichnen?
Beides würde nicht allein in Bezug auf die Aufnahme der
neuen Kunſt im Volk von größter Bedeutung ſein, ſondern
vor Allem im eigenſten Intereſſe der Geſundheit und
Lebensfähigkeit dieſer Kunſt liegen.

%.
Berliner Kanstschaua.

von Franz Imhof.

Auch die Ausſtellungen im Künſtlerhauſe führen
mitunter zu Entdeckungen hübſcher Talente, leider erſt
nach dem Tode des Künſtlers. Eine ſolche Entdeckung iſt
3. B. der vor einiger Zeit verſtorbene Berliner Land-
ſchafter Johannes Hermes, deſſen ſtattliche Sammlung
vorläufig nur zum kleineren Theile in einem hinteren
Kabinet angeordnet iſt. Sie wird nach der Fertigſtellung
der Räume 155 Vummern, großentheils Studien, aber
auch gegen 40 Gemälde umfaſſen. Seine Motive gehören
vorzugsweiſe unſerer Mark Brandenburg an, aber auch
entferntere Gegenden, Holſtein, Mecklenburg, Weſtphalen,
Holland, ſelbſt Süddeutſchland, hat Hermes aufgeſucht und
dargeſtellt. Doch wird man inhn lediglich zu den beſten
Schilderern der engeren Heimath, und zwar im älteren
Stile, rechnen dürfen. Ohne zu den geſteigerten Farben-
effekten, den pikanten Ton- oder Stimmungskünſteleien der
modernen märkiſchen Schule zu greifen, brachte er in ſeinen
Werken den eigenthümlichen monotonen Charakter des
Bodens, die ſchlichten, maleriſchen Reize der Mark zu
feſſelndem Ausdruck. Die Wirkung deſſen, was er zu
geben beabſichtigte, iſt oft ſo fein und trefflich, daß noch
heute nicht das geringe Maß von Sonnenbeleuchtung auf
ſeinen waſſerreichen Flachlandſchaften als ein künſtleriſches
Manko empfunden wird.

Dieſem Geſtorbenen gegenüber macht ein Lebender,
der Porträtmaler Julius Kraut, mit ſeiner ſehr an-
ſpruchsvoll aufgethanen Kollektion einen geradezu fatalen
Eindruck. Eine ganze Gallerie reſpektabler, ja theilweiſe
berühmter Zeitgenoſſen und ſchöner Frauen hängt prahlend
vor unſeren beſtürzten Blicken. Und dieſe hochanſehnlichen
Modelle ſcheinen garnicht zu wiſſen, wie ſehr ihr eigener
Geſchmack durch eine derartige zweifelhafte Malkunſt kom-
promittirt erſcheint. Einzelne der Großwürdenträger, die
ſchief auf der Leinwand ſtehen, ſehen aus wie verkleidete
Cowboys oder Indianerhäuptlinge, ſo grell rothbraun ſind
ihre ſtieren Geſichter angemalt. Bei einigen Frauenbild-
niſſen bringt es die theatraliſche Poſe zu einer äußerlich
packenden Wirkung, wenigſtens für das ungebildete Auge.

Da iſt es denn eine wahre Freude, im Hauptſaal
einer ganzen Anzahl wackerer, ehrlich ſchaffender Künſtler
zu begegnen: H. Fenner-Behmer, F. Müller-Münſter,
H. Herrmann, Richter-Lefensdorf, Karl Langhammer, Oskar
Frenzel, Julius Jakob u. A. Fenner-Behmer bietet
außer einem ſchlichten, im Ausdruck vortrefflich gelungenen
Herrenbildniß einige kleine, mit vollendeter Beſtimmtheit
und Wahrheit hingeſetzte Mädchenfiguren, an denen nur
die durchweg franzöſiſchen Benennungen, wie „hesitation“
u. ſ. w. tadelnswerth ſind. Fenner-Behmers landſchaft-
lich-architektoniſche Anſichten aus dem grachtenreichen alten
Brügge ſind charakteriſtiſch in Färbung und Stimmung
 
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