Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 9.1904

DOI Heft:
Nummer 5
DOI Artikel:
Rapsilber, M.: Die Winterausstellung der Berliner Sezession
DOI Artikel:
Niessen, Johannes: Düsseldorfer Kunstbrief
Zitierlink: 
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kunst_halle1904/0090
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kunst-Halle.

Nr. 5

70

einer von den Unzähligen verhungert oder verdurstet
sei. Das wäre ein Motiv für einen phantastischen
Zeichner, zu veranschaulichen, wie das Ungeheuer Volk
die Kunsthekatomben in sich hineinschlingt und dabei
doch nicht das Gefühl der Magenverwässerung los wird.
Um nun einige von den hervorstechenden Erschei-
nungen der Ausstellung zu kennzeichnen, darf man wohl
mit zwei neuen Nadirungen von Mar Klinger den
Ansang machen. Es sind wirklich ganz neue Arbeiten,
erst am 10. November von den Platten abgezogen.
Sie gehören offenbar zum großen Lyklus „Vom Tode",
dem schauerlichen Hochgesang auf das weltelend. Von
dem einem der Blätter fühlt inan sich gräßlich durch-
schauert und durchkältet, wie an einem nebligen feuchtkalten
Novemberabend, wenn die Krähen, den kommenden
Frost und Schneefall voraus empfindend, in dichten
Schwärmen krächzend der Stadt entgegenschwärmen.
Man sieht da in ein modernes Krankenhaus, wo die
Reihen der eisernen Betten in erbarmungsloser Tages-
helle stehen. Durch das Fenster sind die riesigen
Todesraben eingebrochen, krächzend schlagen sie mit
den struppigen Flügeln, daß die Vorhänge wild aus-
flattern und die Sterbenden in Wahnsinnsangst jäh
aufkrampsen. Mit dem Rosenkranz schlägt die barm-
herzige Schwester aus die schwarzen Höllenboten ein,
bis der verendende mit dem Vaterunser fertig, dann
hinein in den gähnenden Sarg und fort! Die zweite
Nadirung Klingers ist durchaus räthselhast, ein Schock
Deutungen drängt sich aus, aber keine wird die richtige
sein. Indessen ist das Blatt ein Kunstwerk von hohem
Rang. Eine Landzunge erstreckt sich weit ins Meer,
zwischen Himmel und Erde eine Herrlichkeit ohne
Gleichen und wundervoll wölben sich auf dem schmalen
Landstrich zwei majestätische Baumreihen in einander.
Von daher kommt der Mann geschritten, der moderne
Mensch, dem der Adel des Genies aus die Stirn ge-
zeichnet ist. Die Jahre des idealistischen. Jugend-
dranges sind verstrichen, mehr und mehr will und muß
er sich des Kampfes um sein Herrenrecht begeben und
schon verfällt er dein Verhängniß, das für alles Große
ausgespart ist. weit hinter sich läßt er die Hoffnung.
Aber das ist keine pralle lachende Dirne, ein altes,
verrunzeltes, vergrämtes Weib ist's, das am letzten der
Bäume festgewurzelt ist, mit eisernen Kugeln an den
Füßen und mit krallenden Fingern an den Handfesseln
zerrend. Den: Mann zur Seite geschmiegt, daß er
ihres üppigen Leibes Wärme verspürt, wandelt die
jugendlich herrliche Versucherin, die Inspiration mit
den himmelnden Augen, sie hält Schritt mit ihm und
drängt sich an ihn mit klammernden Organen. Doch
wie der Mann zugreisen will, das lockende Glück zu
erhaschen, sind ihm die Arme gefesselt, ist ihm der
spanische Mantel übergeworsen, und da kehrt er das
Haupt hinweg mit einem Fluch aus die Vorsehung und
die sogenannte moralische Weltordnung.
M. Rapsilber.
(Schluß folgt.)


Zü55elöorser Aunrtbriej.
Von I. I. Ni ess en, Töln.

(Mkmgenblicklich ist bei Schulte eine „Bergpredigt"
von Eduard von Gebhardt ausgestellt. Der
Meister, der unter den ziemlich dünn gesäeten
Düsseldorfer Historienmalern die erste und führende

Stelle einnimmt, hat dasselbe Motiv schon zwei Mal
behandelt, einmal als Wandgemälde im Kloster Loccum,
ein anderes Mal als Taselgemälde; diesmal tritt es
uns aber in ganz neuer und besonders interessanter
Auffassung entgegen. In der ungemein stimmungs-
vollen, warm beleuchteten abendlichen Landschaft steht
die Figur Lhristi in schlichter, ernster Größe. Ls ist
wohl eine Unmöglichkeit, eine Lhristusfigur zu schaffen,
die jedem Beschauer unbedingt zusagt; das ist Sache
rein persönlicher Auffassung. Aber dieser Christus
mit der hoheitsvollen Gestalt, mit dem edlen Antlitz,
dieser Christus lebt, spricht, lehrt, tröster! — Und wie
lebendig, wie individualisirt sind seine Zuhörer! —
Eine Volksmenge, die sich um ihn gedrängt, die hörend
sich unwillkürlich in Gruppen gesellt hat, wie die ernst-
blickenden Pharisäer rechts im Hintergrund, Mütter, ihr
Kind im Arm, ein älteres Ehepaar, das sich, aus-
horchend, die Hände drückt. Ganz im Vordergrund,
zwischen Ginsterbüschen, spielt eine Kinderschaar, noch
unberührt von der ganzen Situation! In jedem ein-
zelnen Kops liegt eine Lebendigkeit des Aus-
drucks, wie sie sprechender nicht gedacht werden kann.
Im Allgemeinen fällt eine breitere und farbigere Be-
handlung aus, als man sonst bei Gebhardt gewohnt ist.
Das gilt vor Allem auch der Landschaft, der er durch
den koloristischen Gegensatz zu den kalt gestimmten
Figuren einen besonderen Reiz abgewinnt, wohlthuend
ist, daß ein Gebhardt es versteht, mit der Kunst seiner
Zeit mitzugehen, ohne im Geringsten irgend etwas von
seiner ausgeprägten Eigenart zu verlieren.
In der Kun st Halle finden wir eine neue Ver-
einigung von Künstlern, die sich „Novembergruppe"
nennt. Man sieht, es hat die Neigung zu weiteren
Gruppenbildungen in den größeren Künstlerverbänden,
wo der Einzelne sein Interesse nicht nachdrücklich genug
vertreten findet, noch keineswegs nachgelassen. Unsere
Novembergruppe tritt mit vielen tüchtigen Sachen vor
die Geffentlichkeit, wenn auch etwas Ueberraschendes
oder Besonderes nicht zu verzeichnen ist. Die sich immer
mehr einbürgernde Art, mit Studien vor das Publikum
zu treten, macht sich auch hier bemerkbar. Ls ist hier
nicht der Platz, über Berechtigung resp. Nichtberechtigung
dieser Art zu streiten. Jedenfalls sind die hier ausge-
stellten Studien durchweg gut und verständlich, und es
stehen ihnen eine Anzahl tüchtiger Bilder gegenüber.
Einige Porträts, Genrebilder und figürliche Skizzen
bringen Schultze-Riga und Haver, von denen ich
namentlich des letzteren „Am Sonntagmorgen", eine
farbig seine Darstellung einer lesenden alten Frau,
nennen möchte.
Die Palme der Ausstellung gebührt wohl einen:
jungen Landschafter, L. Iutz, einem Sohn des be-
kannten Geflügelmalers. Bei ihm vereinigen sich ein
gewissenhaftes Studium, ein gediegenes Können, mit
einem hervorragend seinen Stimmungs- und Farben-
gefühl. Entzückend ist sein kleines Waldbildchen
„Frühlingssonne", großen Stimmungsgehalt hat ein
„Weidenweg" mit schräg einsallender, abendlicher Be-
leuchtung, ferner ein Gehöft mit sein gestimmten rothen
Dächern. Auch seine Aquarelle und Studien verrathen
ebensoviel vielversprechendes Talent, wie positives
Können. Ebenfalls ein Sohn eines bekannten alten
Düsseldorfers, des verstorbenen Wildmalers C. F. Deiker,
tritt uns in der Person Carl Deiker's entgegen. Er
bringt außer einer Reihe gut gezeichneter Thierstudien
eine Anzahl Landschaften und Aquarellstudien, zum Theil
keck und mit viel gutem Farbengesühl gemacht, zum
Theil aber auch mit jener Lässigkeit, die viele unserer
jüngeren Landschafter kennzeichnet. Obwohl die Thier-
 
Annotationen