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Die Kunst-Halle — 9.1904

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Nummer 9
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Zimmern, Helen: Ueber die modene toskanische Malerei
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Gefühl für die Wirkung der Morbidezza. Nach dem
Bilde ist dem Maler eine glänzende Zukunft zu
prophezeien.
Allem Anschein nach liegt die Zukunft Iung-
Loskana's in der Entwicklung des Porträts und der Land-
schaft. Augusto Mussini ist die Auszeichnung zu Theil
geworden, daß sein in Venedig ausgestelltes Bildniß seiner
Mutter für eine öffentliche Gallerie angekauft wurde.
Er hatte der venetianischen Ausstellung auch noch ein
allegorisches Bild, „Der Besiegte", geschickt, das von
der Jury abgelehnt wurde, was indessen im Hinblick
auf die Dinge, welche jener Jury pasfirt sind, durchaus
nicht besagen will, daß das Werk nichts taugt. Zu
sehr Idealmalerei, zu frei in der Gestaltung, um leicht
von der älteren Generation verstanden zu werden, sand
die Allegorie vermuthlich nicht die rechte Würdigung.
Als eine künstlerische Persönlichkeit von starken
Fähigkeiten ist auch del vinzio zu erwähnen, der
Jüngste aus der Reihe der hier besprochenen jungen
Maler. Seine Landschaften, besonders die aus Gebirgs-
gegenden, deren Technik an Segantini erinnert, sind in
der Stimmung ausgezeichnet. Natürlich haben wir es
nicht mit einem vollendeten Künstler zu thun, aber daß
er auf dem rechten Wege ist, einer zu werden, steht
außer Zweifel.
Line ziemliche Anzahl der jüngeren Toskaner ist
aus der Schule des tüchtigen Giovanni Fattori
hervorgegangen. Line Schule im Sinne der älteren
Kunst war die seine jedoch nicht, wenigstens hat er
stets das Recht der Individualität gelten lassen, was
vor zwei Jahrzehnten noch viel seltener war, als jetzt.
Beständig gab er seinen Schülern den Rath: „Tragen
Sie Malkasten und Staffelei ins Freie und malen Sie
selbständig, was Sie sehen." Liner dieser Schüler ist
Francesco Fanelli, der am stillen Ufer des Sees von
Massaciuccoli zwischen der Meeresküste und den Ab-
hängen der zerklüfteten Berge Tarrara's ein einsiedle-
risches Leben führt. Vornehmlich Landschafter, studirt
er namentlich Lichteffekte mit leidenschaftlichem Lifer.
wenn er sich nicht durch die zauberisch liebliche Natur
seiner Umgebung in ein äolae kar nients einlullen läßt,
so wird er es vielleicht mlk seinem Schulfreund und
Nachbar plinio Nomellini noch einmal aufnehmen
können, der ebenfalls als Einsiedler an jenem Gestade
wohnt.
Nomellini's Jugend war keine leichte, und, wie er
selber erzählt, hatte er die Phantome Hunger und
Kunst beständig vor Augen. „Und", so fährt er fort,
„da Beide für mich nicht zu trennen waren, so entschied
ich mich, es mit Beiden zu versuchen." Zur Herstellung
von Marktwaare wollte er sich nicht erniedrigen, und
er verschmäht überhaupt jede Führung außer derjenigen
seiner eigenen Eingebung. So war er bei der
Florentiner Brotrevolte so ernstlich kompromittirt, daß
er eine weile ins Gefängniß gekommen wäre, wenn
nicht der größte lebende Maler in Florenz, Telemaco
Signorini, sich mit dem Gesuch für ihn verwandt hätte,
die Negierung möge ein so verheißungsvolles junges
Talent wegen eines Vergehens aus irregeleitetem
Enthusiasmus nicht der Kunstwelt entziehen. Nomellini's
Bilder, die wahre Hymnen des Lichtes sind, haben
oft einen symbolischen Tharakter, doch ist sein
Symbolismus nicht von der abstrakten, archaistischen
Art. Seine allegorischen Motive bringt er durch
Gestalten der Wirklichkeit zur Anschauung. „Sieghafte
Jugend" ist der Titel einer seiner neuesten Schöpfungen,
die bei seiner Generation flammende Begeisterung
erregt, die ältere aber verblüfft hat. „Möchte doch der
Rappe Nomellini's", sagte mir ein enthusiastischer

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Bewunderer des Bildes, „so im Triumph unsere Jugend
dem wahren Leben, der wahren Kunst entgegen tragen,
damit die offiziösen Kunsizünftler, die ebenso unwissend,
wie ordenbeladen sind, von uns, den Zungen, den
Lohn erhalten, den wir ihnen zugedacht haben, indem
wir ihre Namen auf den großen Dunghaufen werfen,
den man Geschichte nennt." Ich zitire diese nicht
gerade parlamentarische Sprache, weil der, welcher
also sprach, nicht „le äeriiier venu" ist und seine Worte
charakteristisch für die Stimmung Jung-Italiens sind.
Es ist immer eine heikle Sache mit dem Namen-
nennen, wo der Raum beschränkt ist. Möge mich
dies bei allen den strebsamen jungen Künstlern ent-
schuldigen, die ich hier unerwähnt lassen muß. Auch
kommt es bei meinen Ausführungen nicht auf den
Einzelnen an, sondern auf die Geistesströmung,
welcher die neue Generation folgt. Andererseits
konnte ich nicht umhin, da eben in der modernen
Richtung der Individualismus das Ziel ist, verschiedene
der Jungen und Jüngsten in ihrer Eigenart vor-
zuführen. Und so habe ich noch einige interessante
künstlerische Persönlichkeiten zu erwähuen. Da ist
Ruggero Focardi, ein Bruder des Bildhauers, der
durch seine realistische Statuette „Der Schmutzfink" (Ibe
äirty boy) von London aus über ganz Europa bekannt
geworden ist, nun aber vor einigen Wochen nach seiner
Vaterstadt Florenz zurückkehrte, um hier zu sterben. Sein
Bruder Ruggero der Maler, ist ein Heißsporn, dem
der pinsel nicht genügt, seine modernen Ansichten über
die Kunst zu verkünden. Er greift auch zur Feder,
und mancher leidenschaftlich, aber gescheidt geschriebene
Artikel hat ihn zum Verfasser. Auch Politiker ist er
und als solcher ein Idealist, der die Lage seiner Mit-
menschen verbessern möchte. Natürlich ist seine Kunst
entschieden modern, durchaus menschlich, er schöpft seine
Inspirationen aus dem vollen Leben, er führt uns auf
deu Markt und zum Brunnen, und zeigt uns die Volkstypen
von Florenz und Umgegend spontan, frisch und lebens-
wahr. Einen besonders scharf ausgeprägten Sinn für das
Moderne haben die beiden jungen Maler Paolo Antony
und Angiolo Torchi. Beide zeichnen sich durch die Treff-
sicherheit aus, mit der sie vermittlest kleiner Farbenflecke
das wesentliche eines Eindrucks wiederzugeben und
bei jedem Motiv den doininirenden Ton des Ganzen
festzuhalten wissen. In diesem Punkt erscheinen sie,
vornehmlich Torchi, gewissermaßen geistesverwandt
mit dem so früh der Kunst entrissenen de Nittis.
Hier muß ich nun, weil die Rücksicht auf den Raum
es fordert, die Feder aus der Hand legen. Ich meine
auch, geuügend klar gelegt zu haben, daß die toskanische
Kunst weder todt ist, noch im Absterben begriffen, wie
in den rückständigen Kreisen derer lamentirt wird, die
sich um das heutige intellektuelle Leben in Italien nicht
kümmern. Ich behaupte entgegen jener im Ausland
fast überall verbreiteten Ansicht: Es wird in etwa zehn
Jahren sich gezeigt haben, daß die jungen Kräfte auf
dem Gebiet der Kunst einer Entwicklung fähig sind,
welche die jetzigen Schwarzseher in Erstaunen setzen
dürfte. Bis die neue Geistesrichtung sich aber Bahn
gebrochen haben wird, werden die Fremden immer noch
an den öffentlichen Denkmälern und anderen schlimmen
Erzeugnissen der offiziellen Skulptur und Malerei den
Stand der Kunst Italiens messen, was offizielle Kunst
bedeutet, ist aber in der ganzen Welt bekannt, und ich
brauche nicht erst zu sagen, wie diese Art Kunst
beschaffen ist.
W

Die Kunst-Halle.
 
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