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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft I (Januar 1909)
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0023

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1 Q
IO

Abbildung 16.

Augen zu gebrauchen,
sich einzuprägen und

Betätigung in schönheitlichem Schaffen zuzuführen — sondern wir erstreben es zu dem
Zweck, dass möglichst vielen die Fähigkeit gegeben werde, ihre *
ein Ding mit den Sinnen zu begreifen und seinen Formen nach
es dann sich und anderen zur Erklärung wiederzugeben. Die
Fähigkeit, die realen Dinge der Welt zu sehen und ihrem Wesen
nach richtig zu erfassen, ist für die Zukunft unseres Volkes und
dessen einzelne Teile viel wichtiger, als vieles von den abstrakten
Wissenschaften, was in den allzu hoch eingeschätzten Examen ver¬
langt wird. Denn was nur das Gedächtnis belastet und die jungen
Männer nicht fördert ist nicht bloss unnötig, sondern auch schädlich
als ein Hinderungsmittel im Erfassen der zur Produktion hin¬
leitenden Kenntnisse und Fähigkeiten. Darum helfen Sie uns, dass
der Zeichenunterricht als ein Mittel zur Vertiefung und Schärfung
des Anschauens werde! Er muss — und zwar auf Kosten des für
die Klarheit des sachlichen Erkennens wertlosen Sprachenunter¬
richts — durch alle Klassen hindurch geführt und so ausgebildet
werden, dass er zwar nicht einen Weg zur Kunst, wohl aber zum
Gedanken- und Beobachtungsausdruck darstellt. Gelingt es Ihnen,
die Mittelschule auf diesen Weg zu führen, dann werden wir Ihnen
herzlich dankbar sein! Dann werden auch wir an der Hochschule
die jungen Männer besser zur produktiven Arbeit, zur Erfüllung des
deutschen Wesens nicht mit Gelehrsamkeit, sondern mit schöpferischer
Kraft weiterbilden können — weiter, als es jetzt möglich ist.“
Die medizinische Fakultät der Universität Leipzig
übersandte dem Verein folgende „gutachtliche Aeusserung über die
Bedeutung des Zeichenunterrichts“:
„Die medizinische Fakultät der Universität Leipzig betrachtet
den Zeichenunterricht als ein unentbehrliches Bildungsmittel, ganz
besonders für alle, die sich dem Studium der morphologischen
Wissenschaften und der Medizin widmen.
Die technische Fertigkeit, Gesehenes durch den Zeichen¬
stift festzuhalten, ist für jedes Studium notwendig, das in erster
Linie auf Beobachtung beruht. Der Studierende ist täglich und
stündlich, sowohl in Vorlesungen bei der Wiedergabe von Tafel¬
zeichnungen, als besonders bei praktischen Uebungen am anatomischen Präparat und mit
dem Mikroskop, angewiesen, eigene Skizzen anzufertigen, die erfahrungsgemäss die beste
Gewähr dafür bieten, dass das Objekt richtig beobachtet und verstanden worden ist, wie
sie andererseits den besten Anhalt für das Ge¬
dächtnis bilden.
Immer von Neuem wiederholt sich aber die
Klage, dass nur der kleinere Teil der Studierenden
dieser Anforderung einigermassen entspricht; sehr
viele erklären, dass sie zum Zeichnen entweder
nicht veranlagt oder nicht ausgebildet seien und
verzieh: en zu ihrem Nachteil von vornherein auf
jeden Versuch.
Weit höher als die Erlangung einer tech¬
nischen Fertigkeit, wenn auch in sehr innigem
Zusammenhang damit stehend, ist der allge¬
meine Bildungswert eines sachgemässen
Zeichenunterrichtes zu veranschlagen, der sich
nicht darauf beschränkt, den Schüler zur sauberen
Wiedergabe von Linearzeichnungen anzuleiten,
wie ein solcher oft mit unverhältnismässig grossem
Zeitaufwand und geringem Nutzen, vielmehr mit
dem nachteiligen Erfolg der Abschreckung, in den
unteren und mittleren Klassen geübt wird.
Der grosse Wert eines guten Zeichen¬
unterrichtes für die gesamte Geistesbildung beruht
auf der Erziehung zur objektiven Beobach¬
tung, einer Fähigkeit, die in sehr verschiedenem
Masse in der Anlage vorhanden ist, aber von
jedem, auch minder günstig Begabten, bis zu
einem gewissen Grade erworben wprden kann.
Bei der grossen Mehrzahl der die Schule
verlassenden jungen Leute ist diese hochwichtige Fähigkeit in durchaus ungenügender
Weise ausgebildet, denn die meisten Menschen sind von vornherein geneigt zu einer sub-
jektiven Auffassung der umgebenden Erscheinungen; die Gabe der objektiven Deutung des
durch den Gesichtssinn Wahrgenommenen bedarf bei den meisten einer konsequent durch-
geführten Schulung; ihr Mangel ist am nachteiligsten in allen Berufen, in welchen die
 
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