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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft I (Januar 1909)
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0022

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12

Umschau.
lehrervereins.
Schluss des Berichts von der Versammlung des Sächsischen Zeichen-

Geheimer Hofrat Prof. Dr. Cornelius Gur litt von der Technischen Hochschule in
Dresden sprach über dasselbe Thema: „Die Technische Hochschule zu Dresden hat leider
keine Gelegenheit gehabt, über die Thesen, die Sie uns vorgelegt haben, zu einem einheit-
lichen Beschluss zu kommen. Aber sie haben

Abbildung 13,


.jedem einzelnen von uns vorgelegen, und die
Herren, die Einsicht in die Broschüre genommen
haben, werden gesehen haben, dass es nicht
schwer gewesen wäre, auch zu einem einheit-
lichen Beschluss der Technischen Hochschule zu
kommen, denn alle Professoren wünschen das,
was auch Sie für den Unterricht in den Mittel-
schulen erstreben. Es würde sich also nur um
eine Formulierung unserer Anschauungen handeln,
um zu einheitlichem Beschluss zu gelangen.
Das, was wir heute gehört haben, hat uns
darüber belehrt, wie sehr der Zeichenunterricht
sich in einem Zustande der Umwandlung befindet,
in einer Umwandlung, die auf grossen Wand-
lungen in unserem pädagogischen Denken beruht;
erstens auf der noch so ausserordentlich jungen
Wissenschaft, die sich mit der Untersuchung
der Kindesseele beschäftigt, und dann darauf,
dass wir jetzt erst erkannt haben, dass unser
Unterricht trotz redlichen Bemühens, dem Kinde
gerecht zu werden, noch viel zu sehr unter
dem Drucke eines harten Pflichtgefühls,
eines auf dem Kinde lastenden Zwanges steht.
Das Kind ist noch zu wenig Herrin der Schule!
Wir empfinden nicht stark genug, dass die Schule
für das Kind da ist und nicht das Kind für die

Schule. Wir erkennen nicht deutlich genug, dass
nur die Schule ihre Aufgabe erfüllt, die nach den Gesetzen der kindlichen Entwicklung
aufgebaut ist, die also die Kräfte des Kindes zwanglos, diesem selbst zur Freude aus-
baut. Die mittelalterliche Ansicht, dass der Zwang ein erzieherisches Mittel sei, herrscht
noch zu sehr vor.


dadurch vor sich gegangen,

Abbildung 14.

Und dann weiter! In unserm ganzen geistigen Leben ist eine ungeheure Wandlung
dass Deutschland aus einem ackerbautreibenden Land ein solches
, der industriellen Produktion und der aus
* dieser sich ergebenden Handelsverbindungen
Jk geworden ist. Ein neues hohes Ziel beseelt
unser deutsches Volk in dem Sinne, dass es
nicht mehr in grübelnder Zurückgezogenheit
Z dahinlebt, sondern zur werktätigen Arbeit
greift und die geistigen Leistungen, die im
B werktätigen Schaffen zur Entfaltung kommen,
| jTUj £3 ebenso hoch und höher schätzt, wie das Ar-
beiten in abstrakten Wissenschaften. An
unsern Technischen Hochschulen und Mittel-
schulen ist noch heute der Kampf um Ver-
jüngung durchzukämpfen, weil man auch dort
noch ein zu grosses Gewicht auf das legt, was
man aus Büchern und Vorträgen lernen kann,
und das unterschätzt, was jeder aus sich
selbst heraus zu produzieren angeregt wird.
Wenn wir unser Volk zurückführen können
auf die produktive Kraft, die es im 16. Jahr-
hundert besass, auf die damals herrschende
Wertschätzung produktiver Arbeit, dann
werden wir auch im Zeichenunterricht andere
Ergebnisse erzielen wie jetzt. Denn immer
noch nicht ist das 17. Jahrhundert mit seiner

törichten Ueberschätzung gelehrten Wesens, seiner Missachtung des arbeitenden Bürgers,
seiner Zurückdrängung aller werktätig Produktiven aus der Staats- und Städteleitung über-
wunden. Wir Professoren von den Technischen Hochschulen und mit uns die Architekten,
Ingenieure, Maschinenbauer, Chemiker usw. fühlen dringend das Bedürfnis, dass den bei
uns eintretenden jungen Männern und dem ganzen Volke eine bessere Ausbildung im
Zeichnen gegeben werde als die Vorbedingung in fast jeder Art produktiver Betätigung.
Wir erstreben dies nicht im Hinblick auf die Kunst, nicht etwa, um möglichst viele der
 
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