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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft VI (Juni 1909)
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Kolb, Gustav: Zeppelin in Göppingen: eine Uebung im Gedächtniszeichnen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0111

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Heft VII
111, Jahrgang Juli 1909
Schriftleiter: Gustav Kolb, Oberreallehrer in Göppingen.
Inhalt:
Zeppelin in Göppingen. — Unser Bericht über den Zeichenunterricht an den Münchner Volks-
schulen und seine Folgen. — Fiir einfache Schulverhältnisse. — Umschau. — Generalversamm-
lung wiirtt. Zeichenlehrervereine. — Druckfehler-Berichtigung. — Besprechungen.

Zeppelin in Göppingen.
(Eine Uebimg im Gedächtniszeichnen.)
Am Pfingstmontag ging ich morgens mit meinem kleinen Knaben in den
Wald, der sich von Göppingen bis zum Fusse des Hohenstaufen hinzieht. Wir
strichen im trauten Zwiegespräch abseits von allen Wegen durch die grünen Hallen
und es war mir ein ernstes Anliegen, die junge Seele für die grossen und kleinen
tausendfältigen Schönheiten um uns her zu öffnen. Als wir auf der Rückkehr
wieder in die Nähe von Göppingen kamen, hörten wir plötzlich eine eigentümliche
Musik, die näher kam und allmählich wieder entschwand. Es rauschte über uns
wie der Klang einer mächtigen Orgel, einer riesigen Aeolsharfe oder eines viel-
stimmigen gewaltigen Orchesters. An all dem rateten wir herum. Sehen konnten
wir nichts, die grünen Wipfel wölbten sich dicht über unserem Haupt und ver-
deckten den Himmel. Wir eilten rasch den sonst von Spaziergängern fleissig be-
gangenen Wegen zu, aber wir gewahrten mit Erstaunen, dass im ganzen Wald
kein Mensch zu sehen war. Des Rätsels Lösung wurde uns jedoch sofort zuteil,
als wir die Stadt erreichten. Wie in einem von mutwilliger Hand aufgerüttelten
Ameisenhaufen ging es da zu. Alles strömte der südwestlichen Anhöhe zu, allwo
Zeppelin mit seinem Luftschiff gestrandet war. Das stolze Luftschiff, das kurz
vorher in majestätischem Flug über die Stadt gesegelt war, hing nun mit zer-
brochener Spitze in einem mächtigen Birnbaum, dem einzigen Baum, der auf der
Ebene stand, die sich Zeppelin zur Landung ausersehen hatte. Im Laufe des
Tages und noch mehr andern Tags eilten von Nah und Fern die Menschen her-
bei, um das seltene Schauspiel zu sehen: zu Fuss, zu Wagen und zu Pferd. Der
Automobilverkehr steigerte sich in erschreckender Weise. Selbst die Kranken und
die Lahmen liessen sich an den Schauplatz führen, wo das lecke Schiff zur Weiter-
fahrt repariert wurde. Viele Hunderte lagerten über Nacht auf freiem Feld, nie-
mand wollte sich den Zeitpunkt entgehen lassen, wo das Luftschiff sich wieder
in die Wolken erheben würde. Als nun am Pfingstmontag nach 2 Uhr das Schiff
sich hob und majestätisch und sicher über den Häuptern der tausendköpfigen
Menge nach Süden entschwebte, da rauschten die Hochrufe wie ein gewaltiger
Chor zum Himmel.
An solchen Ereignissen, die auch die Kindesseele mächtig aufrütteln, darf
die Schule, wenn sie mit dem Leben Fühlung halten will, nicht vorübergehen.
Als ich in den Klassen Nachfrage hielt, wer das gestrandete Luftschiff und seinen
Aufstieg gesehen habe, waren nur einige Knaben da, die, weil sie in den Pfingst-
ferien abwesend waren, meine Frage verneinen mussten. Es konnte somit die
Aufgabe durch alle Klassen hindurch als Kl as s en au fg ab e gestellt werden:
Zeppelins Luftschiff soll aus dem Gedächtnis gezeichnet werden.
Die Darstellungsart war wie immer bei solchen Aufgaben vollständig freigegeben.
Das war ein Spass zuzusehen, wie die kleinen Zeichner mit Feuereifer arbeiteten.
Die Ergebnisse waren dementsprechend auch überraschend gut. Selbst geringere
Zeichner leisteten verhältnismässig Gutes. Die alte Erfahrung bestätigte sich auch
hier, dass bei solchen Aufgaben, die das ganze Interesse gefangen nehmen, die
Schüler sich gleichsam selbst überbieten. Dabei ist zu beachten, dass in solchen
Fällen die besten Ergebnisse immer dann erzielt werden, wenn man den Schüler
sich selbst überlässt und jegliche Einsprache, vor allem aber auch jeglichen eigen-
händigen Eingriff unterlässt.
Wie nun die Abbildungen zeigen, die verkleinerte Vervielfältigungen von
Schülerarbeiten sind, kann man bei solchen Arbeiten nicht nur von Gedächtnis-
zeichnungen sprechen, vielmehr kommt der gestaltenden Phantasie ein mehr
oder weniger grosser Anteil zu. Vergleicht man die Arbeiten einer und derselben
Klasse, so zeigen sie nach dieser Richtung hin bemerkenswerte Unterschiede.
 
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