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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft IV (April 1909)
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Kolb, Gustav: Die Organisationsarbeit des Stadtschulrats Dr. Kerschensteiner in München, [1]: ein Bericht über das Münchener Fortbildungsschulwesen sowie über den Handarbeits- und Zeichenunterricht der Münchener Volksschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0064

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der Reform seine eigene Stellung einnimmt, werde ich am Schluss dieses Berichts,
schon in Anbetracht der mannigfachen Kämpfe, die sich in der Fachwelt seinet-
wegen entsponnen haben, eingehend zurückkommen.
Der Handarbeitsunterricht, der an den Unterricht der Kl. VIII obligatorisch
angegliedert ist, weicht von dem bei uns üblichen ab. Kerb- und Flachschnitzen
gibt es nicht und auch von den Papparbeiten ist man, wie mir mitgeteilt wurde,
abgekommen, „weil diese Arbeiten zu dilettantischen Spielereien verleiten“. Da-
gegen gibt es eine Schülerwerkstätte für Holzbearbeitung und eine für
Metallbearbeitung. Mit den Werkstätten sind techneolo gische Samm-
lungen verbunden, in denen die verschiedenen Hölzer und ihre Krankheiten, die
Metalle, Eisenerze u. a. mehr recht anschaulich zusammengestellt sind. In diesen
Werkstätten werden, wie ich sah, keine Gebrauchsgegenstände angefertigt, sondern
der Schüler soll vor allem lernen, das gegebene Material sachgemäss und präzis
zu bearbeiten, deshalb muss er mit allen in Betracht kommenden Arbeitsweisen und
Werkzeugen vertraut werden und mit der grössten Genauigkeit arbeiten lernen.
In der Metallwerkstätte muss er also z. B. lernen, wie man Eisen drehen, feilen,
sägen, biegen, nieten, falzen und rollen kann. Man beginnt mit den einfachsten
Uebungen, die genau präzisiert sind, z B., „ein Stück Blech, 130 mm im Quadrat,
ist auf allen Seiten gerade und in den Winkeln zu feilen“ oder „ein Jseitiges
Prisma ist in Holz nach einer Zeichnung im gegebenen Massstab herzustellen“.
Jeder Schüler muss über seine Arbeit buchführen. Als Lehrer sind praktisch und
theoretisch ausgebildete Kräfte tätig. Dieser Handfertigkeitsunterricht gefiel mir
ausserordentlich, denn es ist ohne weiteres ersichtlich, dass er eine gute ernste Vor-
schule für die verschiedensten handwerklichen Berufe bildet. Wie ich beobachtet
habe, geben sich die Schüler ihrer Arbeit mit grossem Eifer und unverkennbarer
Freude hin, sodass der Vorwurf, ein derartiger Unterricht komme dem Interesse
der Knaben nicht entgegen, durch die Praxis entkräftet wird. Dadurch, dass alle
Aufgaben in Grund-, Aufriss, und wenn notwendig, auch im Schnitt gezeichnet
werden, gelangen die Schüler fast spielend zu einer sicheren und klaren Raum-
vorstellung der Grundformen und ihrer im handwerklichen Betrieb vorkommenden
einfacheren Zusammensetzungen. Welch’ vortreffliche Vorbereitung für die Gewerbe-
schule darin liegt, brauche ich dem Fachmann nicht erst zu erläutern.
Kurz erwähnt soll noch der Koch unter richt werden, der in einer freund-
lich und hübsch ausgestatteten Küche in demselben Schulhaus den fortbildungsschul-
pflichtigen Mädchen erteilt wird. Auch diesen „Arbeitsunterricht“ und seine guten
Erfolge habe ich so nebenbei kennen gelernt und durch Kosten der Speisen erprobt.
In diesem Zusammenhang will ich nicht versäumen, auf einen wesentlich anders
gearteten Handfertigkeitsunterricht hinzuweisen, den ich in der Volksschule an der
Frauenstrasse kennen lernte. Es ist das persönliche Verdienst des Lehrers R. Fischer,
diesen eigenartigen, sehr praktischen Unterricht geschaffen zu haben, der in engster
Verbindung mit dem Physikunterricht erteilt wird. Es werden hier nämlich
Apparate hergestellt, an denen die physikalischen Gesetze praktisch bewiesen werden,
also z. B. kleine Rollen, Flaschenzüge, Brückenwagen etc. Und zwar werden diese
Apparate, die, wie ich mich überzeugt habe, ausserordentlich präzis funktionieren,
aus Rohstoffen, die auf billigste Weise, wenn nicht unentgeltlich beschafft werden
können, von den Schülern unter Anleitung des Lehrers hergestellt. Ich wohnte
einer Unterrichtsstunde bei, in der „die Ausdehnung der Körper durch Wärme“
behandelt und durch Herstellung von Apparaten anschaulich gemacht wurde. Die
Schüler waren in Gruppen verteilt und es war wirklich hübsch zu beobachten, wie
selbständig und ruhig dabei gearbeitet wurde, eine Tatsache, die dem Lehrgeschick
des betreffenden Lehrers das glänzendste Zeugnis ausstellte. Wer sich für diesen
Unterricht, der mir ausserordentlich gefiel und der eine Lebensarbeit des genannten
Lehrers darstellt, näher interessiert, sei auf das Werk verwiesen: „Elementar-
Laboratorium von R. Fischer.“ Verlag der Jugendblätter (C. Schnell), München II.
Wenden wir uns nun der von Kers ebenstem er in den letzten 10 Jahren ge-
schaffenen Fortbildungsscliulorganisati on zu. Die ihr zugrunde liegenden
 
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