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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — 3.1909

DOI Heft:
Heft V (Mai 1909)
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Wohnungskultur, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0084

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anziehend macht, ja ihm seine eigentliche Bedeutung gibt. Der Verkehr von
Haus zu Haus ist nur ein weiterer Schritt der gegenseitigen persönlichen An-
näherung. Und ein sehr wichtiger Schritt muss man sagen, denn das Bild, das wir
von einem Menschen haben, ist durchaus lückenhaft, so lange wir ihn nicht in seiner
eigenen Welt, seinem Hause gesehen haben. Goethe sagte einmal, man könne einen
Menschen nicht kennen lernen, wenn er stets nur zu einem komme, man müsse
zu ihm gehen. Wie spielt sich nun das ,,zu jemanden gehen“ in unserer heutigen
bürgerlichen Geselligkeit ab? Wir werden mit einer Menge uns grösstenteils
gleichgültiger Menschen in so engen Räumen und an so engem Tisch zu-
sammengebracht, dass wir kaum dazu gelangen, Wirt und Wirtin zu sehen, ge-
schweige denn mehr als ein flüchtiges Wort mit ihnen zu wechseln. Eingeklemmt
zwischen zwei Menschenkindern des anderen Geschlechts, die wir nie gesehen
haben und voraussichtlich nie wieder sehen werden, haben wir für die Dauer von
zwei bis drei Stunden ein vom Hotel fix und fertig geliefertes, von Lohndienern,
die nicht zum Hause gehören, gereichtes Mahl zu bewältigen und dabei mit den
Nachbarn gefällige Worte zu wechseln. Um diese sogenannten Genüsse zu bieten,
strengt sich der Gastgeber nun in einer oft geradezu unerhörten Weise an, stellt
seinen Haushalt auf den Kopf, kramt
Zimmer und Kammern aus und zapft
seinen Beutel in der empfindlichsten
Weise an.
Gegen solche grosse Gastmähler
ist sicherlich nichts einzuwenden bei
Leuten, die die Räume, die Diener,
die Kücheneinrichtung, das Geld haben.
Aber sie werden in gleicher Weise von
Leuten mitgemacht, die nichts von
alledem ihr eigen nennen. Zwei Welten
sind vorhanden, eine kümmerliche wirk-
liche, deren man sich nach aussen
fast schämt, und eine zurechtgemachte
künstliche, mit der man jedes Jahr
ein- oder zweimal versucht, seinen
Gästen die Meinung beizubringen, dass
man auf fürstlichem Fusse lebe.
Genau so unecht und auf den Schein berechnet wie die heutige Gast-
freundschaft ist die heutige Wohnung. Auch hier wird der Versuch gemacht,
den Anschein aufrecht zu erhalten, als handle es sich um fürstliche und nicht um
bürgerliche Insassen. Die Mietskaserne, in der man für einen jährlichen Mietzins
von 1450 Mark wohnt, hat äusserlich den Anstrich des Palazzo eines Renaissance-
fürsten. Am Eingang stehen die für den bürgerlichen Parvenü so bezeichnenden
Worte „nur für Herrschaften“. Eine riesige Haustür, die man nur mit Gegen-
stemmung seines ganzen Körpers öffnen kann, führt in das Vestibül, eine ver-
kleinerte Nachbildung des Treppenhauses der grossen Oper in Paris, natürlich in
Marmor. Breite Treppenläufe, mit schwellenden Plüschteppichen belegt, führen
in die Wohnungen. Aber welch ein Kontrast enthüllt sich dem, der dort eintritt!
Aus der Marmorpracht des Treppenhauses gelangt er in einen dunklen Korridor,
mit Kleiderschränken und dem Eisschrank so verbaut, dass man sich kaum drehen
kann. Kein Raum zum Ablegen, auf dem Boden klaffen die Dielenritzen. Aus
der dem Korridor sich anschliessenden engen Küche dringen die Düfte der Speisen
heraus. Die Wohnung besteht aber trotzdem aus einer Reihe grosser und hoher,
durch Flügel- und Schiebetüren miteinander verbundener Repräsentationsräume.
Ein goldstrotzender Prunk der Ausstattung macht jetzt wieder, trotz des im Korridor
erlebten Fiaskos, den Versuch, über die Person des bürgerlichen Insassen die
Meinung zu verbreiten, dass es sich um einen Fürsten handle. Am lautesten ver-
suchen dies die Oefen auszuschreien, auf deren grossspuriges Gepräge sich die

Abbildung 7.

Schülerarbeit der graphischen Abteilung
der Gewerbeschule München (Leiter: Direktor Godron).
 
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