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Bund Deutscher Kunsterzieher [Editor]
Kunst und Jugend — 3.1909

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Heft VI (Juni 1909)
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Kolb, Gustav: Die Organisationsarbeit des Stadtschulrats Dr. Kerschensteiner in München, [3]: ein Bericht über das Münchner Fortbildungsschulwesen sowie über den Handarbeits- und Zeichenunterricht der Münchner Volksschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.33469#0092

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entspreche und dass K. in der Durchführung seiner Theorie an sich selbst die
Wahrheit des Wertes erfahren habe, das er seinen „Vorschlägen zur Praxis des
Zeichenunterrichts“ voranstellte: „Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit. Leicht
beieinander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stossen sich die
Sachen.“
In den Münchner Volksschulen beginnt der Zeichenunterricht mit Kl. I, bis
Kl. IA (einschliesslich) ist ihm L Wochenstunde eingeräumt. Auf dieser Stufe
befasst er sich in der Hauptsache mit gedächtnismässiger Darstellung von
Stoffen, die dem Anschauungs- bezw. heimatkundlichen Unterricht entnommen sind.
Der „Lehrplan für die Werktagsvolksschulen“ Münchens bestimmt hierfür folgende
Aufgaben:
I. Kl.: Von der Kinderstube in die Schulstube, auf dem Spielhof, auf der Strasse,
am und im Trambahnwagen, nach dem Weihnachtsabend, auf dem Eise, bei
der Näherin, in der Kirche, am Aquarium, im Schulgarten, am Vogelkäfig, auf
der Wiese, bei der Obstlerin, im Bauernhof, die Puppe.
II. Kl.: Im Schulhaus, am Neubau, Schulgarten im Herbste, die Uhr, die fünf Sinne
und ihre Betätigung, im Brausebad, in der Küche (Schulküche), beim Schreiner
(Schreinerwerkstätte), beim Schlosser (Schülerwerkstätte'', im Waschhaus (des
Schulhausmeisters), am Terrarium und Aquarium, an der Isar, in den Anlagen
(im Walde), am Bahnhof, im Kaufladen.
III. Kl.: Das Schulzimmer, das Schulhaus, die Altstadt, das Weichbild der Stadt, das
nächste Dorf, die Stadtgemeinde, Dorf und Stadt, ein Schülerausflug, heimat-
liche Pflanzen und Tiere.
IV. Kl.: Das Isartal von Talkirchen bis Pullach, das Isargebiet von Tölz dis Moosburg,
heimatliche Tiere und Pflanzen, das ganze Isargebiet, die schwäbisch-bayerische
Hochebene, das bayerische Donaugebiet.
Der Lehrplan bestimmt ferner: „Mit jeder dieser Aufgaben ist die Betrachtung einer
Anzahl von Gegenständen verbunden, welche von den Schülern auch zeichnerisch darzustellen
sind. Insbesondere gehört im heimatkundlichen Unterricht der beiden Mittelklassen hierher
auch die Darstellung von Plänen, Grund- und Aufrissen von Gebäuden, Ansichten von
Brücken, die Darstellung von Heimatskarten, Flusssystemen, geographischen Profilen und
Faustskizzen.“
In den methodischen Forderungen des Lehrplans wird ferner bestimmt: „Neben diesen
Gegenstandsdarstellungen sind, sofern die nötigen Einrichtungen vorhanden sind, spätestens
vom dritten Schuljahr ab, Freiarmübungen mit Kreide an senkrecht gestellten Wandtafeln
zu betreiben. Sie erfolgen durch Bewegung des nicht unterstützten Armes aus dem Schulter-
gelenke. Den Uebungsstoff hierzu bilden krumm- und später geradlinige Züge wie Ovale,
Schleifen, C- und S-Spiralen, Wellenlinien, Kreisbögen, Kreise, Mäander, Sternformen u. s. w.
teils einzeln, teils in Zusammensetzungen zu Mustern, endlich einfache Blattformen und ge-
eignete Gegenstände aus dem Gedächtnis. Diese Uebungen sind in jeder Zeichenstunde in
der Weise vorzunehmen, dass, während die übrigen mit Gegenstandszeichnen in ihren Bänken
oder Zeichentischen beschäftigt sind, jeweils 10 bis 15 Schüler 10 bis 15 Minuten an den
Wandtafeln zeichnen.“
In der Ausstellung war eine grosse Anzahl von Gedächtniszeichnungen dieser
Klassen zu sehen, die ausnahmslos wirkliche Schülerarbeiten waren und in jeder
Hinsicht von der Vorzüglichkeit dieses Unterrichts überzeugten. Beim Besuch der
Schulen selbst sah ich in einer Kl. I wie „der Drache“ im Anschluss an den
Anschauungsunterricht gezeichnet wurde. Die Schüler zeichneten mit Kohle auf
Packpapier. Am Schluss wurde die Zeichnung mit Pastellkreide gefärbt. In einer
Kl. II wohnte ich einer Lehrprobe bei, in der ein „Gang nach dem Friedhof“ be-
handelt wurde. Den Schülern, die am Tage vorher mit ihrem Lehrer den Friedhof
besichtigt hatten, wurde am Schluss die Aufgäbe gestellt, das Leichenhaus mit
seiner Halle „aus dem Kopf“ mit dem Griffel auf die Tafel zu zeichnen. Die Zeich-
nungen, die selbstverständlich alle Merkmale und Mängel der kindlichen Darstellung
zeigten, lieferten den Beweis, dass die Schüler ihre Augen aufgemacht und teil-
weise erstaunlich scharf beobachtet hatten.
Mit den Oberklassen setzt das Zeichnen nach dem Gegenstand ein, der
Lehrplan bestimmt indessen, dass der Unterricht vom Gedächtniszeichnen allmählich
zum Abzeichnen überzugehen habe. Es werden nun aber, im Gegensatz zu den
Unterklassen „korrekte, den zeichnerischen Prinzipien angepasste
Darstellungen gefordert“. Zu dem Zwecke sollen zunächst flache Gegen-
 
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