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Die Kunst in der Photographie — 3.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.41390#0042
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WIEN UND HAMBURG

EHE wir zu unserem eigentlichen Schlusskapitel kommen, der Besprechung des ungeheueren und
unerwarteten Aufschwunges, welchen die künstlerische Photographie, dank den erfolgreichen Bemühungen
der bekannten Männer des Wiener Cameraklubs und der Hamburger, genommen hat, haben wir noch
kurz Umschau ausserhalb und innerhalb der Grenzen Deutschlands zu halten.
Ich hatte mir als meine Aufgabe gestellt, im Anschluss an die Berliner Ausstellung in kurzer
Uebersicht den jetzigen Stand der künstlerischen Photographie in den verschiedenen Ländern zu schildern
und so weit es mir möglich war, auch den Weg anzudeuten, der zu den bisher erreichten Zielen geführt
hat. England, Frankreich, Belgien sind ausführlicher behandelt worden, und wenn hierzu nun noch Oester-
reich und Deutschland kommen wird, so sind alle in Betracht kommenden Richtungen meines Erachtens
charakterisirt.
Andere Länder haben nur ganz vereinzelte Kräfte oder zum Mindesten vereinzelt arbeitende
Kräfte aufzuweisen, wiederum in andern ist in den letzten Jahren ein gewisser Stillstand in der Entwickelung
eingetreten, so dass sie kaum mehr als wichtige Faktoren mitzählen dürften. Hierher gehört vor Allem
Holland, das in Albach, Huijsser, Binger und Anderen Künstlerphotographen besass, die neben der
Stimmungslandschaft vor Allem auch das Figurenbild pflegten und bei diesem in höchst geschickterWeise
mit einer Helldunkelwirkung operirten. Ihr Styl war ein nationaler, sowohl war das Aufsuchen charakte-
ristischer Volkstypen, als auch was die intime Wiedergabe betraf. Mit Glück hatten sie in der Schule
ihrer alten Meister gelernt, im Leben gute Umschau zu halten. Mit dem Belgier Desire de Clercq gehören
sie zu einer weiteren Familie und sind so gleichsam die Vorläufer der Hamburger.
Albach’s „Kartoffelschälerin“, Huijsser’s „holländische Bäuerin“ oder seine „Alte mit dem Kind“
sind vermuthlich von der Ausstellung im Reichstagsgebäude 1896 noch in Aller Gedächtniss. Dann schien
einige Jahre die Produktion einen Stillstand erfahren zu haben. Weder in Publikationen noch auf Auf-
stellungen begegnete man Holländern. Auf der Hamburger Herbstausstellung 1899 sind sie plötzlich
unter der Führung Huijsser’s wieder erschienen; ausser diesem nur neue Kräfte. Die grösseren Formate
und die angewandte- Technik des Gummidruckes beweisen uns, dass man in der Stille rüstig weiter-
gearbeitet hat. Der Zustand der Gährung, der bei dem Einschlagen der neuen Richtung offenbar zu über-
winden war, ist noch nicht einer klaren und nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich zielsicheren
Richtung gewichen.
Wie, Israels vielleicht ausgenommen, keiner so sehr holländisch national zu malen verstanden
hat wie ein Nichtholländer Max Liebermann, so lebt auch der „holländischste“ Künstlerphotograph fern
diesem Lande und hat nur auf gelegentlichen Studienreisen seine bekannten Motive gesammelt. Es ist
der Amerikamer Alfred Stieglitz. Seine treffliche Kunst sowohl wie die weit dahinter zurückstehenden
Leistungen der übrigen Künstlerphotographen Amerikas sind kurz im zweiten Bande der „Kunst in der
Photographie“ charakterisirt worden.
Die Berliner Ausstellung bot einige neue Nüancen. In Gertrude Käsebier (New-York) vor
Allem und dann auch in Mary Devens (Cambridge i. A.) lernten .wir zwei Kunstgenossinnen der bekannten
Farnsworth kennen, vornehm, elegant, aber doch nicht süsslich. Mary Devens’ Portrait im Style Van
Dyck’s ist vielleicht das vornehmste und sympathischste, was ich in retrospektiver Art kenne. Die Bildnisse
von Gertrude Käsebier, die auf der Berliner Akademieausstellung und, in noch höherem Maasse, die seitdem
veröffentlichten, beweisen eine originelle Begabung für die Auffassung der Persönlichkeit und haben eine
höchst temperamentvolle und doch edle Vortragsart; die Urheberin dieser Arbeiten steht bereits in der
ersten Reihe der Künstlerphotographen. Die elegante Art dieser und anderer, die in dem früheren Artikel
genannt waren, hat etwas absolut Nationales; ein merkwürdiges Gemisch von Europäischem — Englischem und
vielleicht noch mehr Französischem — und original Amerikanischem, analog wohl vielen anderen Erscheinungen

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