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Die Kunst in der Photographie — 3.1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.41390#0043
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im amerikanischen Leben, im Kunstgewerbe z. B., und in der Tracht und Art der Frauen.'— Mrs. J.Montgomery
Sears (Boston) brachte in ihrem Damenbildniss und vor Allem in dem merkwürdigen Bilde „Entsagung“
eine neue, aber ebenfalls echt amerikanische Note. Steckt doch in diesem Volke, bei dem die brutale
Wirklichkeit eine so grosse Rolle spielt, doch wieder der Hang zum Transcendentalen und Mystischen,
zumeist in exaltirter Form. Ein Bild wie „Entsagung“ hätte ich theoretisch für nicht möglich innerhalb
der ganzen photographischen Kunst gehalten. Dem Philister mag es in Wirklichkeit als ein Auswuchs
oder als exaltirt gelten. Auf mich übt es durchaus die angestrebte psychische Wirkung aus, und was
noch mehr heissen will, bei längerem Anschauen in erhöhtem Maasse. —
Italien, das auf der Wiener Ausstellung 18gi noch durch tüchtige Arbeiten, besonders des
Prinzen Ruffo (Rom) und der Gräfin Loredana da Porto (Vicenza), vertreten war und 1893 in Hamburg
noch Namen aufzuweisen hatte, Cataldi (Florenz), Marquis Verardo (Messina), Graf Giuseppe Primoli
(Rom), ist, seitdem die Ausstellungen ein ernsthaftes, künstlerisches Aussehen gewonnen haben, vom
Schauplatz verschwunden. Mehr als eine vornehme Spielerei, mitunter recht geschmackvoll und mit
Routine betrieben, ist wohl bisher die Amateur-Photographie nie in Italien gewesen. Im Grunde genommen,
seitdem dies Land an der Bahre Segantini’s trauert, wie viel ist ihm da noch von echt Künstlerischem in
der grossen Kunst geblieben!
Der bekannteste Künstlerphotograph der Schweiz und fast der einzige, der uns auf Ausstellungen
begegnet, ist Frederic Boissonas in Genf, ein begabter Landschafter. Ich halte es für bezeichnend, dass
seine Höhlenbewohner, ein nicht sehr sympathisches Motiv, mit dem sich in glücklicherer Weise auch
der Belgier Alexandre beschäftigt hat, zuerst auf dem Pariser Salon von 1894 erschienen und dann wieder
für die Münchener Sezessions-Ausstellung dieses Jahres mit zahlreichen anderen Arbeiten zusammen von
dem Urheber eingesandt wurden. Die letzten fünf Jahre! Was hatten sie nicht zu bedeuten, dort, wo
Entwickelung war. Boissonas strebt offenbar eine grosse Wirkung an, aber durch die starke Vergrösserung
alter Aufnahmen und durch eine Montirung von gesucht grossem Styl, durch äusserliche Mache also
wird eine solche sicherlich nicht erreicht.
Auch Russland hat nur einen nennenswerthen Künstlerphotographen aufzuweisen, allerdings
einen ersten Ranges : Alexis Mazourine in Moskau. Seine Art ist von Ernst Juhl in der photographischen
Rundschau (Jahrgang 13, Seite 107 ff.) vorzüglich in Wort und Bild klargelegt worden. Ich glaube, es
Ist nicht nur das Fremdartige, die gute Wiedergabe national russischer Landschaften und Trachten,
d’e uns anzieht sondern die wirklich künstlerische Auffassung, die in ihnen steckt, das Gefühl für die
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Einordnung jn den Raum, für die Vertheilung der hellen und dunkeln Flecken bei der Auswahl des
Motivs. Auch wer nicht in dem Lande der grossen Ebene war, fühlt die Poesie der Steppe und des
Weiten Schneefeldes, fühlt die Stimmung nach, die seine sentimentale Heimath in einem fein empfindenden
Kinde dieses Landes erweckt hat. Es ist etwas Elegisches in diesen Landschaften und auch in diesen
Gesichtern _ ich erinnere an die Nonne —, die uns an die Dorfnovellen Gogol’s oder an die Dichtungen
Puschkin’s denken lässt.
Mazourine’s schönstes Bild „Im Winter“ ist bereits 1886 entstanden. Heute noch würde es als
Meisterwerk auf jeder Ausstellung mit Ehren bestehen, in der ursprünglichen bescheidenen Form, ohne
Vergrösserung, ohne raffinirte Technik und Montirung. Es war und ist eben ein Kunstwerk.

Das Wort „Schule“ scheint unter den Künstlerphotographen etwas verrufen zu sein. Wieder-
holt las ich in Berichten von deutschen und ausserdeutschen Vereinen mit Nachdruck betont: man arbeite
zwar fleissig, komme häufig zusammen und spreche von seinen Arbeiten, und der Eine lerne wohl so vom
Andern, aber man sei weit davon entfernt, eine „Schule“ zu bilden; dessen sei man froh: denn jeder könne
so nur seiner Eigenart folgen.
Der Historiker darf anders denken. Er ist gewöhnt, bei der Kunst früherer Jahrhunderte das
Gleichartige in den Werken der Männer zu erkennen, die in demselben Lande oder in derselben Stadt
in der gleichen Periode arbeiteten. Er weiss, dass dieses zum Theil wohl sich aus den gleichen nationalen

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