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Die Kunst in der Photographie — 5.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.44519#0015
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hier müssten die Vereine unserer Amateurphotographen einsetzen, wenn sie den festgefahrenen Karren auf
die gute Strasse bringen wollen.
Als die Amateurphotographen bei ihrer bewussten Aufnahme künstlerischer Probleme 1893 aussprachen,
dass ihr letztes Ziel die Reform der Bildnissphotographie sei, gab es nicht wenige Berufsphotographen, die
sich in ihrer Existenz bedroht fühlten und Front machten, offen und im Stillen. Sie fanden, wie es stets in
solchen Zeitlagen zu gehen pflegt, in allen Ständen Parteigänger, die irgend ein Kapitol bedroht wähnten und
laute Warnrufe ausstiessen.
Sie haben mit all ihrem Geschrei nichts gerettet, denn was sie zu schützen sich in den Kampf
stürzten, existirte in Wirklichkeit gar nicht.
Der Widerstand, den zum Glück niemand ernst nahm, und den niemand bekämpfte, ist nun im
Princip und in der Praxis aufgegeben. Viele einsichtige Berufsphotographen hatten von vornherein den
Amateurphotographen ihre Zustimmung zu erkennen gegeben. Eine kleine Anzahl hatte sich schon in den
ersten Jahren anregen lassen, seit einiger Zeit wurden in Hamburg Berufsphotographen von der Gesellschaft
zur Förderung der Amateurphotographie zu ihren Ausstellungen eingeladen, und sie sahen in der Aufforderung
eine Ehrung. Auf der diesjährigen Ausstellung der Berufsphotographen ganz Deutschlands im Künstlerhause
zu Berlin konnte man den Sieg der künstlerischen Grundsätze auf der ganzen Linie feststellen, mochte auch
noch viel Veraltetes und Verfehltes unterlaufen und die Prämiirung nach Grundsätzen geschehen sein, die
nicht immer leicht zu erkennen waren.
Und wo man jetzt in den grösseren deutschen Städten die Auslagen der Fachphotographen mustert,
sieht man den ungeheuren Umschwung sich vorbereiten oder gar schon vollzogen. Ohne Anmaassung dürfen
wir behaupten, dass selbst in Paris nichts zu sehen ist, das auf so vielversprechenden Wegen wandelt.
Das ist schneller gegangen als zu erwarten stand. Noch vor fünf Jahren würde ich es für eine über-
spannte Hoffnung gehalten haben, wenn mir jemand prophezeit hätte, dass es im Jahre 1900 schon mehr als
einen Photographen in Deutschland geben würde, der gar keine geleckten, retuschirten, affectirt zurechtgeposten
Aufnahmen mehr machen und sich ganz auf die Ausübung seines Berufs nach künstlerischen Grundsätzen
beschränken würde. Und heute ist das Unwahrscheinliche zur Thatsache geworden.
Dieser gute Wille der Berufsphotographen weist den Amateurphotographen die Stelle, wo sie helfend
eingreifen können. Denn vorläufig vermögen nur in den grössten Städten einzelne Fachphotographen sich zu
befreien, ohne ihre Existenz zu gefährden. Die grosse Menge bedarf nach allen Richtungen des Zuspruchs
und der Unterstützung seitens der Liebhaberphotographen.
Ein erfolgreiches Mittel, zugleich auf die Fachleute und auf das Publikum zu wirken, bieten ihnen
geschickt ausgeschriebene Concurrenzen.
Es gehört dazu ein nicht übermässig grosses Ausstellungslocal •— wo keins zur Verfügung, würde
das Schaufenster einer Kunsthandlung genügen. Die Jury müsste zu gleichen Theilen aus Künstlern, Amateur-
und Berufsphotographen bestehen. Die Aufgaben wären nach örtlichen Bedingungen zu stellen und von Jahr
zu Jahr zu steigern. Es ist sehr viel Gewicht darauf zu legen, dass von den einfachsten ausgegangen wird,
und dass zugleich die Technik und die künstlerische Auffassung und die Aufmachung in Kartons und Ein-
rahmung ins Auge zu fassen sind.
Nach dem bisher erlebten Entgegenkommen der Berufsphotographen erscheint es nicht zweifelhaft,
dass dieser Weg Erfolg haben wird.
Die Reform der Bildnissphotographie ist von höchster Wichtigkeit für die Entwicklung des Geschmacks,
denn die Photographie kommt in alle Häuser und herrscht dort vom Arbeitszimmer des Hausherrn und dem
Boudoir der Hausfrau bis in die Kammer des Dienstmädchens. Und oft kommt die Kunst in keiner andern
Form als der des Lichtbildes in ein Zimmer. Was das Lichtbild an Elementen von Kunst und Geschmack
enthält, wirkt gegenwärtig tiefer auf die Bildung des Volkes als irgend eine andere Aeusserung des künst-
lerischen Vermögens, und das nicht allein, weil es weiter dringt, sondern auch weil es ruhiger, anhaltender,
aufmerksamer betrachtet wird und unmittelbarer auf die Sinne und das Herz wirkt als Kunst in irgend einer
andern Gestalt.
Ist die Photographie, wie bisher, geschmacklos, unwahr, falsch und albern, so wird in breiten
Schichten der Geschmack diesen Charakter annehmen. Wird sie geschmackvoll, künstlerisch und wahrheit-

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