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Die Kunst in der Photographie — 5.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.44519#0016
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liebend, so kann es nicht ausbleiben, dass diese Eigenschaften auf den künstlerischen Geschmack der
Allgemeinheit wirken.
Der Gang der Bewegung lässt sich vorher erkennen. Nicht die untern Schichten des Publikums
werden zuerst erfasst, sondern die obern. Was man heute noch auf allen Schreibtischen in goldenen Rahmen
prangen sieht, wird in vier oder fünf Jahren unerträglich erscheinen. Es wird im Zimmer gehen, wie es für
den Schaukasten vorhergesagt wurde und eingetroffen ist: hat die erste künstlerische Bildnissphotographie
ihren Platz gefunden, wirkt Alles, was nach der bisher geltenden Weise verretuschirt war, abgestanden und
flau, erhält das Stigma des Altmodischen und ist damit zum raschen Untergange verdammt.
Und wenn zunächst die oberen Schichten sich gewöhnt haben, in der Photographie das Künstlerische
zu empfinden, wenn sie es in der Photographie nicht mehr entbehren wollen, werden sie es auch in der
hohen Kunst erkennen und zu geniessen lernen.
* *
*
Was seit einem halben Jahrzehnt auf dem Gebiet der künstlerischen Photographie angestrebt und
erreicht ist, hat nicht nur für das engere Gebiet Bedeutung.
Es hat sich erwiesen, dass auf ein praktisches Programm, das zunächst nur für einen begrenzten Kreis
gedacht war, sich an Ort und Stelle nicht nur die älteren Kräfte sich zusammenschlossen, sondern in jährlich
wachsender Zahl neue Kräfte, deren Begabung latent geblieben war, sich ihnen anschlossen.
Es hat sich gezeigt, dass von Jahr zu Jahr die Ziele höher gesteckt wurden und dass in immer
zahlreicheren Centren des nationalen Lebens auf der Grundlage desselben Programms dieselbe Thätigkeit
sich entfaltete.
Es hat sich gezeigt, dass der Widerstand, der sich aus denselben Kreisen überall erhob, durch die
Macht der Thatsachen überall ohne Schwierigkeit und ohne viel Kampf überwunden wurde.
Wo man in Deutschland an der künstlerischen Erziehung unseres Volkes arbeitet, kann auf den
grossen Erfolg der Kunstphotographen als Vorbild und Aufmunterung geblickt werden.
Den Liebhaber- und Fachphotograpben, die diese neue Zeit heraufgeführt haben, mag es ein Sporn
zu unablässiger Verfolgung ihrer Ziele sein. Sie haben viel erreicht, aber viel ist noch zu thun, und glücklich,
wer in solcher Zeit mitarbeiten darf.
Alfred Lichtwark


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