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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 18.1837

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https://doi.org/10.11588/diglit.3200#0178
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U- 44

n s t -

a t t.

Donnerstag, den 1. Juni 1837.

Der Pariser Salon im Jahre 1837.

IV.

Das Genre ist, wie die leichte Literatur, in Frank-
reich jedes Jahr sehr ergiebig es beschränkt sich haupt-
sächlich auf die Darstellung von Scenen aus dem bürger-
lichen Leben und tobten Naturgegenständen; cs ist mit-
unter komisch, niemals tragisch. Das Schöne, das Große,
das Erhabene, die Poesie sind dem Genre unzugänglich.
Die materielle Vollkommenheit in der Nachahmung sind
gewissermaßen seine Hauptzwecke. In diesem Sinne ist
das Genre demnach ein untergeordneter Nebenzweig der
Kunst.

Die Griechen scheinen die Genremalerei den Zimmer-
verzierern und Vergoldern überlassen zu haben. In Ita-
lien kam sie erst aus, als die großen Schulen sich ihrem
Verfalle zuneigten; sie entwickelte sich besonders in der
venetianischen Schule, welche von allen italienischen Ma-
lerschulen unbedingt die prosaischste war. Der Geschmack
für diese Art von Malerei nahm bald überhand und
wurde immer allgemeiner; er herrschte ausschließlich in
der niederländischen Schule vor, welche fast nur Genre-
malcr auszuweisen hat; in der deutschen und englischen
Schule wurde er gleichfalls pradominirend.

In Frankreich, wo die Kunst fast immer den Tra-
ditionen der alten Italiener treu geblieben ist, hat die
Genremalerei nie einen bedeutenden Einfluß und Umfang
gewonnen. Unter der Regierung Ludwigs XIV. war sie
beinahe unbekannt; in der lezten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts blühte sie eine Zeit lang, verschwand aber
wieder unter der Republik und dem Kaiserreich. Wir
kennen nur die Namen von vier oder fünf französischen
Genremalern, die einigermaßen berühmt geworden sind:
Valentin, Oudry, Watteau, Chardin, Grenze,.
Lena in, und unter diesen gibt es noch einzelne, welche
man eben so gut zu de» Historienmalern rechnen könnte.
Uebrigens sind sie mit den Teniers, Dow, Paul Pottcr,
A. Kupp, Rembrandt und so vielen andern gar nicht in

Vergleich zu stellen und nehmen auch nur den zweiten
Rang in der französischen Schule ein.

Seit 15 oder 20 Jahren scheinen die Franzosen den
ganz entgegengesezten Weg eingeschlagen zu haben. Die
Genremalerei ist gegenwärtig der hervorstechendste Cha-
rakterzug &er französischen Schule. Die meisten der be-
rühmtesten französischen Maler neuerer Zeit, wie Horace
Vernet, Paul Delaroche, Granet, Decamps, Bellangc-,
Biard u. s. w. sind Genremaler. Im Genre zeigen sich
ohne Widerrede die größten, freiesten Talente; hier allein
tritt Spontaneität in der Manier und wahre Originalität
in der Ausführung hervor. In den höheren Regionen
der Kunst lebt man, wie gesagt, nur von Erinnerungen,
Traditionen, veralteten Systemen und redlichen Absichten.
Die Künstler haben nie so viel raisonnirt und philvsophirt,
als heutzutage. Bevor sie zu malen anfangen, legen sic
sich die Frage vor: ob cs denn wirklich eine moderne
Kunst gibt und wie sie beschaffen sepn muß? als ob das
ihre Sache wäre, um die sic sich zu bekümmern hätten.
Mit den Poeten ist es noch schlimmer bestellt. Sie wollen
durchaus, daß ein Gedicht entweder eine politische, oder
eine religiöse, oder eine sociale Tendenz habe; mehrere
von diesen bilden sich ein, daß, wenn sie 8 bis 10,000
Verse zusammengereimt, sie ein eben so großes Kunstwerk
als die Bibel und die Jliade zu Stande gebracht hätten,
und sie würden ihre Mühe für verloren halten, wenn sie
nichts als reine Poesie gedichtet. Diese nachtwandelnden,
grübelnden Poeten und Maler, welche die Tendenz des
Jahrhunderts anfluchen, vergessen, daß den kommenden
Jahrhunderten die Auflösung dieses Räthsels Vorbehalten
iir. Die Kunst würde nur gewinnen, wenn sie weniger
in die Tiefe ginge; die Ueberlegcnheit der modernen
Genremaler beweist es. Es ist ein wahres Glück, daß
cs heutzutage noch Künstler gibt, welche ein Pferd, einen
Hund, einen Topf mit Levkojen und einen Kessel malen,
wie man ehemals einen Heiligen, einen Engel, eine Hölle
und ein Paradies malte, nämlich ganz einfach und ohne
geheimnißvolle Umschweife. In der Jeit, worin wir
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