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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 20.1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.3207#0044
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Florentinern und Sienesen, während die erstcren von
einem mehr heiter», die leztercn von einem mehr schwär-
merischen Gefühl geleitet werden, und ein mystisches,
elegisches Gefühl sich fast durchgängig in den alten Mei-
stern des umlrischen Gebietes ausprägt. Das dritte
Merkmal einer cigenthümlichen Kunstrichtung ist die Art
und Weise der Ausführung, deren Verschiedenheit sowohl
unter ganzen Schulen, als unter einzelnen Meistern cha-
rakteristisch hervorlritt, und deren Kenntniß jene äußer-
liche Kennerschaft bildet, die nur durch vieles, anhaltend
fortgeseztes Betrachten der Werke und genaues Studium
der Art, wie jeder Künstler die Natur ins Auge faßt
und seine Technik handhabt, erworben werden kann.
Wenn der Vf. jene beiden ersten Bestimmungsgründe
überall mit großer Klarheit, treffender Kürze und oft
mit ergreifender Lebendigkeit zu bezeichnen weiß, so hat
er nur eben dem leztcrn vielleicht zn wenig Aufmerksam-
keit gewidmet; wobei jedoch zu bedenken ist, daß sein
Zweck hauptsächlich auf eine leichtfaßliche Uebersicht für
denjenigen größeren Theil der Leser gerichtet war, welcher
nicht ein genaues Studium vieler Kunstwerke anstellen
kann, sondern mehr eine Kenntniß des allgemeinen Ganges
der Kunst zu erwerben wünscht.

Mit Bescheidenheit bekennt Hr. K. in der Vorrede
zum ersten Theil, daß er diese Behandlung der Kunst-
geschichte dem Vorgänge v. Rumohrs verdanke; auch gibt
er einen großen Theil seiner Arbeit nur als Compilation,
und läßt fast unerwähnt, wie Vieles cr selbst gesehen
und nach eignem Urtheil an seinen Platz gestellt'hat.

Um des Vfs. eigenthümliche Weise in Schilderung
der Hauptrichtungen zu bezeichnen, setzen wir die schöne
Charakteristik der Naturalisten, Th. t. S. 35ü. §. so
hierher:

„Ich habe bereits von der Opposition der Natura-
listen gegen die Eklektiker, besonders gegen die Schule
der Cärracci, gesprochen, eine Opposition, die nicht bloß
durch den Pinsel, sondern auch, wie wir gesehen haben,
mit Dolch und Gift ins Leben trat- Die Naturalisten haben
diese ihre Namensbezeichnung von der Auffassung und Dar-
stellung der gemeineren Natur, der sie vorzugsweise in
ihren Werken huldigten, erhalten. Doch erscheint bei ihnen
eine solche Auffassung nicht bloß zufällig und alsAeußerung
einer befoudern Sucht nach Originalität; sie ist im Ge-
gentheil durch eine eigenthümliche Sinnesweise begründet,
welche in ihren Werken zuerst mit vollkommener und
freilich einseitiger Entschiedenheit in die Kunst eintrat.
Die Leidenschaft ist der verwaltende Grundton in
ihren Darstellungen. Die Gestalten, welche sie in ihren
Werken dem Beschauer verführen, sind nicht, wie dies
bei den großen Meistern im Anfänge des sechzehnten
Jahrhunderts der Fall war, in einem erhöhten Zustande
des Lebens aufgefaßr, in welchem die Schönheit'als das

Band edler Sitte, und die Gefühle des Hasses oder der
Liebe als Aeußerungen einer göttlichen Kraft erscheinen.
Ihren Gestalten fehlt dieses Baud und diese Göttlichkeit,
sie sind den irdischen Dämonen hingegeben, und auch, wo
in dem Bilde keine bewegte Handlung dargestellt ist,
fühlt man es, daß sie der wildesten Aeußerungen des
Lebens fähig sind. Aber indem die Naturalisten sich ganz
dieser einen Richtung Hingaben, und das nüchtern ver-
ständige Ideal ihrer Zeitgenossen verwarfen, haben sie es
zn einer eigenthümliche» künstlerischen Vollendung ge-
bracht, die in ihrer Wirkung auf das Gemüth des Be-
schauers bei weitem die meisten Werke der Eklektiker über-
trifft. Ich mochte ihre Darstellungsweise, wo sie in ihrer
ganzen Einseitigkeit auftritt, als eine Poesie des Häß-
lichen bezeichnen. Daher jene Nachahmung der gemei-
nen Natur, sofern diese den sinnlichen Begierden unter-
worfen ist; daher das cigenthümlich scharfe, grelle Licht
und die dunklen Schatten (vornehmlich die dunklen Gründe),
die in ihren Darstellungen angewandt sind."

Die Anordnung der Materien ist so gut getroffen,
daß sich wenig Einwürfe dagegen erheben lassen. Am
meisten scheint uns der Bestreitung wcrth, daß-in der
Periode der Vlüthe und des Verfalls der italienischen
Malerei, im töten Jahrhundert, an deren Spitze wie
billig Leonardo da Vinci steht, Michel-Angelo mit seinen
Schülern unmittelbar auf diesen folgt und erst nach ihm
Raffael geschildert ist. Zwar steht Buonarroti äußerlich
und der Zeit nach dem Leonardo näher als Raffael; der
Charakter seiner Malerei aber entfernt ihn sehr weit von
demselben. Raffael bildet offenbar den Schluß der alten
Zeit; er steht am Ende der religiösen Malerei, die er zn
ihrer höchsten Schönheit, Bedeutsamkeit und Würde er-
hob. Die Bestrebungen aller seiner Vorgänger hatten
ihn emporgetragen und alle Kräfte, die in jenen walteten,
haben sich gleichsam in ihm gesammelt, um eine glänzende
liebliche Blnthe zu gestalten. In ihm zeigte sich noch
zulezt der fromme gläubige Sinn der katholischen Kirche,
das tiefe, innige Gefühl der vorangegangenen Jahrhun-
derte, die lebendige Frucht aller poetischen und Natur-
studien, welche seine Vorgänger gemacht hatten. Er schloß
diese Zeit ab. Michel-Angelo dagegen begann eine neue
Zeit. In seiner gewaltigen Natur stritten sich dieselben
Elemente, welche damals Kirche und Staaten bewegten;
die Ansichten der Reformation, die in Deutschland her-
vorbrach, hatten sich längst in Italien Bahn gemacht,
und die politischen Zerwürfnisse, in denen er mitten inne
stand, rissen sein freies Herz in ihren Strudel hinein.
Die Poesie seiner Kunst ist eine Poesie nicht des Glaubens
sondern der Verzweiflung, und die Richtung, die er der
Malerei gab, ist die der sinnlichen Größe und einer tief-
empfundenen Vitalität, welche hauptsächlich auf wissen-
schaftlichen Studien und der aus ihnen hervordringendcn
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