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Morgenblatt für gebildete Stände / Kunstblatt — 20.1839

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https://doi.org/10.11588/diglit.3207#0290
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279

hoch, 7 Zoll 5 Linien breit. Unten liefet man in unförm-
lichen gothischen Lettern folgende Infchrift:

Obustotoi'l laciem <lic quacumq, tueris iMillcsimo CCC°
lila nempe die morle mala non moneris |xX° terlio.

Der erste Anblick dieses Holzschnitts lehrt, daß der
Ursprung der Holzschneidekunst weit alter ist. 2» dem
Journal encyclopediqne von, Jahr 1785 steht zwar ein
Aussatz über einen Holzschnitt vom Jahr 1584, welcher
in I. G. Meusels Miscellaneen artistischen Inhalts über-
gegangen; allein Kenner halten diese Jahreszahl für sehr
problematisch. Das Original des ersten Holzschnitts,' dieses
heiligen Christoph und eines anderen ebenfalls sehr alten
Holzschnitts, Mariä Verkündigung, sind von der Karthause
von Burheim in das Privatkabinet des Lords Spencer
gekommen. Herr Ottle» in seinem oben angeführten
Werke hält dafür, daß diese beiden Holzschnitte in Ita-
lien ansgesührt worden sind; allein der Charakter der
Zeichnung und die Vergleichung mit andern altdeutjchen
Holzschnitten machen es sehr wahrscheinlich, daß |ie von
einem Formschneider unseres Vaterlandes herrühren.

Der erste bis jezt bekannte Formschneider in Frankreich
ist Vernarb Mil net. Man har von ihm einen Holz-
schnitt mit der Jahreszahl 1454, und es bleibt also auch
nicht der leiseste Zweifel übrig, daß die Formschneiderei
im löten Jahrhundert zur Verbreitung und Vervielfäl-
tigung der Heiligenbilder und Spielkarten angewandt
wurde.

Die einseitigen Kunstfreunde erhoben dagegen ein
großes Geschrei. Die Miniaturmalerei, das Jlluminiren
und Schönschreiben hätten nämlich damals den höchsten
Grad von Vollkommenheit erreicht: die Bibeln waren
mit kleinen, seinen und geistreichen Gemälden geschmückt,
welche im reichsten Farbenschmucke prangten. Die elegant
auf Pergament gezeichneten Buchstaben und Worte schie-
nen im eigentlichsten Sinne zu leben und zu den Augen
zu sprechen. Die Spielkarten waren eben so schön ge-
malt; die Figuren, König, Dame, Bube, waren mit
scharlachrothen und azurblauen Kleidern auf Goldgrund
abgebildet; aber die Andachtsbücher und Karten standen
in hohem Preise und waren fast nur den Klöstern,
Schlössern und einigen gleichen zugänglich. Da verbrei-
teten sich plötzlich unter dem Volke rohe Heiligenbilder
mit harten Umrissen und barbarischen Gestalten, burlesk
entworfene und ihrer blendenden Gewänder entkleidete
Kartenkvnige; die Formschneider machten die Kunst der
großen. Menge, zugänglich. Bald begleitete man diese
Holzschnitte zur Erklärung der Bilder mit Legenden,
welche vermittelst erhaben ausgeschnittener Buchstaben,
in der Weise wie die Figuren auf den Holzstöcken, ge-
druckt wurden; und so führte das immer mehr und mehr
steigende Bedürfniß der Lektüre zur Erfindung der mo-

bilen Lettern und endlich zur Vervollkommnung der Vuch-
druckerei, welche für Die Verbreitung der Wissenschaft
dieselbe Revolution heroorbrachte, wie die Formschneiderei
für die Verbreitung der Kunst bewirkt hatte.

Die ersten Versuche der Holzschneidekunst mußten
natürlich roh und unförmlich auefallen; als aber Künstler
von Talent und Genie diesen neuen Kunstzweig in die
Hand nahmen, brachten sie damit Wunderdinge zu Stande.
Die eben erfundene und rasch vervvllkommnete Buch-
druckerei machte sich diese» Umstand zu nutze und rief die
geschickten Künstler zu Hülfe, welche das löte und lGtc
Jahrhundert verherrlicht haben: In den Ausgaben jener
Zeit finden wir daher die Meisterwerke einer Nkrnge
ausgezeichneter Künstler, deren Erzeugnisse in die schönste
Epoche der Formschueiderei fallen. Die gesuchtesten Holz-
schnitte älterer Zeit sind:

Die Ars moriemli, in verschiedenen Ausgaben, deutsch
von Hans Sparer, 1475, befindet sich auf der Stadt-
bibltothek in Zwickau; die Kunst Cyrvmantia von Doktor
Hart lieb, von 1448, auf der königl. Bibliothek in Paris;
Speculnm humanae salvalionis, gedruckt in Lyon 1478, in
Folio, mit vielen Holzschnitten; die Schede I'sche Chronik
von 1495, mit Holzschnitten von Plepdenwurf; derTeur-
dank, illustrirt von Hans Schäuselein; verschiedene
Werke mit Holzschnitten vonCranach, Baldung, Be-
haut,Albrecht Altdorfer ilndAlbrechtDürer; der
Triumphzug des KaisersMärimilian von B u r g m a ie r und
mehreren andern Formschneidern nach denZeichnungenDü-
rers gearbeitet in den Jahren 1515, 1517, 1518 und iöi9;
der Holbein'!che Todtentanz von i55(t, die von Robert
Etienne im Jahr 1540 zu Paris gedruckte Bibel, mit
Holzschnitten von PierreVvdiriot, Goldschmied, Form-
schneider und Kupferstecher, von dem man noch ein merk-
würdiges Buch mit seinem Bildniß und mit Kupferstichen
hat: Pinax iconiciis antiijuorum el vanorum in sepul-

tiiris riturini, gedruckt zu Lvou im Jahr 1556; endlich
das alte Testament, die Metamorphosen Ovids, die Ge-
schichte der Psyche und die Aeneide Virgils, illustrirt von
Bernard Salomon, um 1550.

Alle diese eben genannten Werke mit Holzschnitten
sind ungemein hochgeschäzt und zwar aus guten Grün-
den: einmal sind die meisten dieser Holzschnitte mit be-
wundernswürdiger Leichtigkeit gezeichnet, und dann kann
! man sich kaum vorstellen, welche Fertigkeit, welche uner-
müdliche Geduld und Sorgfalt zu ihrer Ausführung er-
forderlich war, da die Fasern der damals üblichen Holz-
stöcke auss Jahr von ungleichem oder dünnem Gefüge
dem Künstler, besonders in der Heransbringung der
Kreujlinien, ein fortwährendes und beinahe unübersteig-
liches Hinderniß in den Weg legten.

(Fortsetzung folgt.)
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