Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe (3.1868)

56

zwar zu eiuem Tode, von dem es hier auch für den Gläu-
bigstcn keine Aufcrstehuug giebt. Man weiß, w'e z. B. das
Strahover Dürer-Bild, eine kunstgeschichtlich so hoch-
wichtige Schöpfung, durch „Restauriren" aus der Neihe
der Lebeudeu gestrichen worden; wie oft beklagt Reynolds
auf seiner Neise durch Flanderu die Veruicbtuug herrlicher
Malereieu „dz' olouniuK"; auch bci Smith, iu seinem
berühmten„OutuIoAus" ist die Anzahl dieserKlagenLegion.
Was leisten, wie jeder Fachmann weiß, die Jtalicner
im gcwissenlos fabrikmäßigen Restanrireu! Das wahre
Ncstauriren ist eine Fertigkeit, welche dic Vereinignug
dcr änßersten Gewissenhaftigkeit, Hingebnng, der gründ-
lichsten Kenntniß nnd Erfahrnng, der größten Vorsicht
nnd Gednld in der Person desjenigen fordert, dem ein
beschädigtes Knnstwerk zur Wiederherstellung anvertraut
wcrden soll. Wie steht es aber mit diesen Eigenschaften
bei den mcisten Restauratoren? Was diejenigen unter
den Künstlern, die mit produktiven Leistuugeu Erfolg
gehabt, gewvhnlich unter ihrer Würde halten, die Wieder-
herstelluug eiues Knnstwerkes zu übernehmen, darnach
greifen meist solche Kräfte, die mit ihren Produktionen
im wogeuden Meere der öfsentlichen Meiuung Schiff-
brnch gelitten. Sagen wir es gerade heraus — die zu
Grunde gegangenen Maler „restauriren" die Tiziane und
Rubens. Die Kenntniß, welche zur Restauration
allcin befähigeu sollte, fehlt danu meistens auch deneu,
die nun solche Prozedur überwacben sollen. Diese Wächter
der Güter, wclche der ganzen gebildeten Welt 'gehören,
begnügen sich, uud mit ihnen das ganze Publikum, mit
dem neueu und frischeu Aussehn der Bilder — für das
Auge der wcnigeu Uutcrrichteten sind diese aber für ewig
ihrer feinsten Schönheiten beraubt. Was nützt es, daß
das Blaubuch des englischen Parlaments, welches die
Debatten über die Bilder-Restaurirungen iu der Natio-
nalgalerie enthält, 965 Folio-Seitcn mit 10,410 Fragen
und Antworten umfaßt? Den Blindeu wird man nie die
Farben, dem Laien nie die Schönheiteu eines intakten
Claude oder Rubens begreiflich macheu und trotz der
10,410 Fragen und Antworten bleiben die Bilder in der
Nationalgalerie verputzt, darunter zwei Elande der größten
und herrlichsten Gattung, der berühmte Rubens: Streit
des Krieges mit dem Frieden, u.m.A. Stumm und geister-
haft sehen die geschundenen Werke herab von den Wänden,
und erzählen, wie Lavinia, nur durch ihr klägliches Aus-
sehen von den an ihnen begangenen Freveln.*)

Die Erinnerung an den Schmerz, den mir der
Anblick der Opfer in der National-Galerie bereitete,
hat mich vom Schloffe des Prinzen Eugen nach Trafalgar-
Sguare geführt, doch ich kehre zum Belvedere zurück,

') RcfcrciU hat diese imglücklichen Gemälde im Septcmber
>867 scbst gesehen nnd die Angaben derer, welche gegen diese
„Nestaurationen" aufgetrcten sind, volllonmien bestätigt ge-
snndcn; darüber gelegentlich Nähercs.

um von der ncuen Restaurir-Schule zu reden. Dieser
liegt in jedem Betracht eine vortreffliche Jdee znm
Grunde, dcnu sclbst Solche, welckie das Zeug zum
gntcn Restaurator haben, beginnen ihre Laufbahn
aus Mangel an der nöthigen Erfahrung stets mit
einigeu Opferu. Mau sende deu juugeu Arzt hinaus
iu die Welt, ohnc daß er sich im Kraukeuhausc uuter
tüchtiger Leitung praktisch gebildet hat und wehe denen,
an deren Leiden er die ersten Erfahrnngen machte! Die
Restaurir-Knnst hat allerdings auch ihre Theorie; es
sind recht gnte Bücher darüber geschrieben worden, iu
denen alle Mittel aufgezählt, ihre Anwendung haarklein
erklärt wird — was der Restaurator aber eigentlich
braucht, die Kenntniß, wie die verschiedenen Schulen
gcmalt haben, die praktische Erfahrnng über die Wirkungcn
der Mittcl in allen Fällcu und die Uebung nnd Sicherheit
der Hand, das Alles kann ihm kein Bnch geben. Denn
das Buch giebt ihm furchtbare Mittel in die Hand. Da
ist einmal der Weingeist, der auf eiuen feinen Nieder-
länder so wirkt, wie die Blausäure auf dcu auimalischeu
Organismus, und doch gab es eincu „Nestaurator"
der, wie mir Direktor Engert einnial erzählte, die Ge-
wohnheit hatte, aus eiuer eigeneu Kanne den puren
Lpiritns vini anf die Bilder zn gießeu nud diese dann
mit Wcrg abzureibeu. Wehe, dreimal Wehe allcu La-
surcn iu deu Händen solcher Barbaren! Da hilft kein
Beteu mehr, sagt Falstaff. So geht es auch mit den
andern Arcanis des Restaurators — ist er nicht Keuner
nnd erfahrencr Meister, so stiften sie iu seincr Hand nnr
Unheil.

Die Einrichtung, Leitung und Wahl der Schüler für
die nene Schule ist dem Galeriedircktor Engert übertragen
worden. Kein Fähigerer konnte hierzu erlesen werden, als
der Manu, der in seiuer schwierigen Kunst durch die
größte Gewiffenhaftigkeit und dic solidcstc Kenntniß sich
Sckritt für Schritt das Terrain erobcrt uud seit der Her-
stellung der Tizian'schen Madonna sich einen weit über
die Grenzen Oesterreichs hiiiaiisgeheudeu wohlverdienten
Nuf in seinem Fache erworben hat. Seine Keuntnisse,
die nian jetzt einer jüngeren Gencration uud für die Zn-
kunft der Bclvedere-Galerie nutzbar zu uiachen gedenkt, siud
es auch gewesen, welche an maßgebender Stelle zur Jdee
der Restanrir-Schule den ersteu Anstoß gegeben haben.
Er hat einige tüchtige jüngere Kräfte ausgewählt, die sich
unter seiuer Leitung praktisch in dem Fache ausbilden
werdeu. Das Material zu den Versnchcn werdeu die
schlechtereu Bilder der Depöts der k. k. Galerie abgeben.

Zngleich geht man mit der Jdce um, diese Numpel-
kammer eiuer eiugehenden Nevision zu uuterwerfeu,
welche ebeufalls unter Engert's Leituug, wie wir hörcn,
im uächsten Sommcr in Scene gehen soll. Dabei
werden daiiu jene befferen Bildcr, die freilich einen sehr
kleiueu Bruchtheil des Vorrathes bildeu, nach uud nach