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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 12.1877

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Das Rubensfest zu Antwerpen, [2]
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811

Das Rubensfest zu Antwerpen.

812

äö „Vo^slpile", (lu. toniisuu, „8t.rui8voA6l", xour
dillurä u ourLnibols, 1o billurä snAlsis, pour los
cuuuris ol Iss poobsurs ü 1s liAno. On 1o voit, 11
^ on s xour tou8 los ^oüts." Das wissen die
Götter!

Den alten Genossenschaftssinn und die tüchtigen
Vereine, die vorbeimarschirten, in Ehren — viele sicher-
lich alt und ruhmreich und bekannt in den Annalen der
Stadt, — aber noch niemals sind uns solche Falstaffs-
Kompagnicn von Schiminelig, Bullenkalb, Schwächlich,
Schatlen und Warze vorgekommen, wie sie hier unter
allen denkbaren und undenkbaren Namen und Devisen mit
unterliefen. Seliger Sir John, hätten wir Dich an
unserer Seite gehabt, diese edlen Trojaner richtig zu
schildern! Und dabei dics naive Selbstbewußtsein auch
des kleinsten, aus Präses, Bicepräses, Schriftführer und
Kneipwart, wie es scheint, bestehenden Billard- oder
sonstigen Klubs! Hübsch, überraschend und ergötzlich
ist für den Fremden bei diesem Aufzug die alte Silte
die früher errungenen Siegestrophäen im Triumphzug
auf Wagen, Bahren, an Stangen mitzuführen. Von
den staltlichsten Uhren, Silbergeschirren u. s. w. geht
das hinab zu Messeru und Gabeln. Drollig war,
wenn die kleinen schäbigen Gesellschaften anrückten und
etwa zwei Knaben auf einer Tragbahre oder ein Kerl
an der Stange die Schätze trugen und dabei immer
wieder als ein „Hurrah zum Einhauen!" die gekreuzten
Messer und Gabeln und Löffel mit dem entsprechenden
Bumbarassasa der sich gegenscitig verarbeitenden Höllen-
musikeu angeschwankt kämen. Bei deu Musikern dachken
wir lange: hat Bvhmen alle seine Lieblinge ausgespien?
Aus welcher Erde sind diese Legionen von Posaunen-
und Clarinettenbrüdern gestampft? Und welche Fluth
kaun den Durst löschen, der hier anwächst, riesengroß?
Alles Wasser der Schelde sicher nicht!

Jm Allgemeinen gab uns der Anblick dieser Ge-
nossenschaften keinen bcsonders günstigeu Eindruck von
dem physischen Zustand des kleinen Bürgerthums, das
sich hier doch repräsentirte. Den Jrrthum so Mancher,
den gutentheils die Rubens'schen Figuren nähren, sich
die Flandrer als einen großen, schweren Menschenschlag
in den ihren Pferden entsprechenden Formen zu denken,
theilten wir dabei nicht. Ob unter den Schaaren des
alten trotzigen Antwcrpens wohl auch so viele, an Kraft
und Gesichtsfarbe so gebrechlich aussehende Banausen-
Gcstalten mitliefen? Wahrscheinlich. Die Zustände
sind in der Beziehung weniger verschieden, als die
Phantasie sich meistens vorstellt.

Mitlags kam das prachtvolle Gegenstück gegen dies
kleinere, aber durch Volksthümlichkeit und in den
schwächeren Theileu durch dcn so nöthigen Humor in-
teressanle Festwesen: eine große kirchliche Procession, die
durch die Straßen zog, um vor einem ungeheuren Altar- j

bau auf dem Platz de Meir ein Hochamt zu feiern; ein
gewaltiger Aufzug, imposant durch seine Pracht, muster-
haft in seiner theatralischen Geschultheit.

Des Weiteren wurde Seitens der Kirche ain
nächstcn Morgen in der Kathedrale ein llis Osuw
gefeiert, woran sich ein Besuch von Rubens' Grab in
der Jakobskirche schloß.

Als Jntermezzo und zum Gebrauch für die Vor-
kämpfer der populären Kunsterziehung, die auf dem
Kongreß behandelt wurde, wollen wir anführen, daß
ein Droschkenkutscher uns vertrauensvoll vor der Jakobs-
kirche fragtc, wo das Grab von Rubens sei. Er sollc
die Herren, die eben in die Kirche gingen, sie zu be-
sehen, hernach auch zu Rubens' Grab fahren. Er war
erstaunt zu hören, daß er an Ort und Stelle sei.
Wahrscheinlich war der Mann ein Aushilfe-Droschken-
lenker, der sich für gewöhnlich so viel um Rubens be-
kümmerte, wie jener Münchener um die Pinakothek, der,
danach gefragt, das Brauhaus uicht kannte; er trinke
sein Bier im Schleibinger. Das ist der Humor der
Berühmtheit beim „Volk". —

Auch die Kirche also feierte Rubens.

Der Magistrat von Antwerpen ist liberal, und
scharf wird au der Schelde der Kampf gegen die ultra-
montane Umschnürung Belgiens gefochten. Jn Folge
dieser Verhältnisse ist für das Fest der Stadt Seitens
des Ministeriums und damit nach konstitutioneller Auf-
fassung auch durch den König keine Unterstützung und
Förderung zu Theil geworden.

Das ist bekannt. Aber welches überraschende Pla-
kat lasen wir an den Straßenecken? Da stand: Die
Bilderstürmer. Arm und Reich. An die kleinen Bür-
ger! Und nun im Aufruf folgende Sätze: „Jhr wollt den
Reichthum nicht in den Kirchen anschauen. Die Nach-
folger Christi zeigen ihn euch in den Straßen. Einen
Hund neckt man, indem man ihm Fleisch um's Maul
schlägt. Beißt er, so prügelt ihn sein Herr durch.
Aber Sklaven schießt man todt. Darum nicht murren!
Auf die Knie! — Bleibt auf Abstand von den Pfaffen!"
ist der Schluß.

Mitten hinein in die Feste dieser gelle Kampf-
ruf, hier nicht in den geläufigen Ausvrücken der Rothen
die „Arbeiter" hetzend, sondern mittelalterlich an Lie
kleinen Bürger sich richtend, an die Bilderstürmer an-
knüpfend, laut im Haß gegen das katholische Kirchen-
wesen aufschreiend. Wir meinten die Geusenketten
klirren zu hören, mit denen einst die Spaniarden das
besiegte Antwerpen fesselten. Jst der Geist jener Tage
noch nicht todt, in denen Rubens' Eltern iu die Ver-
bannung flüchteten?

Doch genug vou dem für die künstlerische Rubens-
feier Nebensächlicheu!

Gern hätten wir den theatralischen Aufführungen
 
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