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Die primitiven Italiener
in der Dresdner Galerie.
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wieder auftauchten. Anders ausgedrückt: Giotto steht
einem Michelangelo unendlich näher, als es Botticelli
oder Verrocchio thun. Auch Lionardo lässt sich eher
an Simone Martini, als an die Ateliergenossen seiner
Jugend angliedern. Freilich wussten die Späteren
das mit sieghafter Klarheit auszusprechen, was die
Frühen nur stammelnd und tastend eroberten. Aber
die Gemeinschaft ist vorhanden.
Fast alle Sammlungen, in denen primitive Italiener
vorhanden sind, enthalten mehr Arbeiten der siene-
sischen als der florentiner Schule. Das liegt nicht am
Zufall des heutigen Kunstmarktes, sondern am Bestand
überhaupt. Das kleine mobile Altarbild - und um
dieses handelt es sich beim Export meist - wurde
in Siena mehr begehrt als in Florenz. Namentlich
der Klappaltar des Hausandachtsbildes hat in Siena
seine eigentliche Heimat. Siena ähnelt darin Venedig,
dass in diesen beiden Städten, wo die Freude am
intimen Schmuck früh lebendig ist und man das
Blitzende mehr liebte als das Grosszügige, der Schmuck
für das Privatzimmer viel früher begehrt wurde als in
Florenz. Das florentiner Trecento-Bild ist fast aus-
nahmslos für die Kirche bestimmt. Ferner erringt in
Florenz die grosse einheitliche Tafel oder die drei-
teilige des Triptychons schon früh den Sieg über jene
primitivere Form, nach der eine mittlere Hochtafel
von einer Menge kleinerer Bilder rechts und links und
unten umgeben wurde. Giotto und Oreagna hatten
zu glücklich im grossen geschaffen, als dass man es
am Arno noch lange mit Kleinigkeiten gewagt hätte.
Dagegen behält in Siena das kleine Format noch
lange den Vorrang; das macht sich noch am heutigen
Bestand bemerkbar.
Ich beginne aus diesen Gründen mit den sie-
nesischen Trecentisten in Dresden. Duccio ist nicht
vertreten; was von seinem Hauptwerk im Palazzo
Saracini in Siena, in Berlin und im englischen Privat-
besitz verstreut ist, ist wohl das einzige, was überhaupt
je wird erreichbar sein. Die vielen unter seinem oder
gar Guido's Namen gehenden Madonnen sind durchweg
spätere Schularbeit. Auch Simone Martini fehlt, von
dem Berlin und London ebenfalls nichts aufzuweisen
haben. Dagegen ist die Schule der Lorenzetti, die nach
Simone's Weggang nach Avignon in Siena die herr-
schende war, durch ein ganz hervorragendes Bild
vertreten, das ich freilich weder Pietro noch Ambrogio
selbst geben möchte, wohl aber einem unmittelbaren
Schüler Ambrogio's. Denn dessen Hauptbild, das, einst
für das Hospital S. Maria Agnese in Siena gemalt,
heute in der florentiner Akademie hängt, bildet die
Voraussetzung und das Muster für die Nr. 27 der
Dresdner Galerie, deren Katalog es ganz richtig schon
der Schule Ambrogio's zugewiesen hat, ohne jedoch
auf den Zusammenhang mit diesem wichtigen Bild auf-
merksam zu machen. Es ist die 1342 gemalte schöne
presentazione al tempo, deren leuchtende Kraft und
malerische Behandlung neben dem zierlichen Spiel
reichster architektonischer Formen auch das unvor-
bereitete Auge sofort beeindrucken. Ambrogio hat
dann die Komposition ähnlich, aber bescheidener in
einem Altarbild in Massa maritima wiederholt;
Petrocchi giebt in seinem kürzlich erschienenen Büch-
lein über Massa maritima, dessen reiche Kunst aus
dem 13. bis 15. Jahrhundert dadurch erst bekannt
geworden ist, eine kleine Abbildung dieses Bildes.
Das Dresdner Bild ist, ebenso wie das schöne Bild
Bartolos di Fredi im Louvre, eine Nachbildung des
Originals dieser Altartafel. Weder das aristokratische
Geschlecht noch die Leuchtkraft seiner Kostüme ist
dem Schüler geglückt. Aber der Tempel ist weiträumig
und hoch, ein kuppelbedecktes Octogon mit Umgang,
das unwillkürlich an das Florentiner Baptisterium er-
innert. Dagegen ist die Kuppel der des Sieneser
Doms nachgebildet. In den acht dreieckigen Auf-
sätzen über den Mauern befinden sich Medaillons;
dazwischen standen als Pfeilerbekrönung einst ver-
goldete Statuen, von denen leider nur noch zwei
erhalten sind. Neben der ernst und dunkel geklei-
deten Maria sticht das leuchtende Gelb von Joseph's
Rock lebhaft ab; der greise Simeon wiederum trägt
ein metallisch schillerndes Gewand von seidigem
Schimmer, gegen den das Rot des Futters stark sich
abhebt. Auch die Gestalten hinter Simeon, nament-
lich der Hohepriester mit der Mitra (sie) enthalten
sehr zarte farbige Klänge. Man beachte die Zu-
sammenstellung der Farben über den Händen des
Hohenpriesters: roter Mantel, weisses Kleid, grünes
Mantelfutter, der Dreiklang der italienischen Tricolore.
Endlich ganz rechts im Umgang die erst hervor-
tretende, die Rolle feierlich enthüllende alte Matrone
Hanna, eine fast antike Gestalt, wie sie der Meister
Ambrogio so gern malte. Diese Hanna überbietet
die entsprechende Gestalt auf Ambrogio's Bild in
Florenz. Hier ist es eine feinknochige, hagere, lange
Gestalt mit porträtmässigen Zügen, in der wir gern
die Äbtissin des Spedaletto, d. h. die Stifterin erkennen
möchten; in Dresden ist es die hundertjährige Pro-
phetin von grandioser Typik. Endlich noch die
Gruppe von Diener und Dienerin, die bei Maria und
Joseph nie fehlen. Denn die Heiligen des Trecento
sind vornehme Leute, die nicht allein auf die Strasse
gehen. An solchen Nebenscenen, wie dem Gespräch
dieser servi, deren kurzer Sinn die feierliche Tempel-
stunde nicht zu würdigen weiss, entzündet sich im
Trecento die Liebe zum Genre. Bei Ambrogio's
Hospitalbild fehlen die Statisten noch; hier sind sie
in echter Nonchalance beigesellt.
Die Tafel, die mit dem alten Rahmen aus einem
Stück besteht, ist ein Hausandachtsbild, wahrschein-
lich gestiftet bei der Taufe des Erstgeborenen und
Stammhalters der Familie. Sie ist jedenfalls nach 1342
entstanden. Das Bild wurde 1874 in Rom erworben.
Ein Pendant zu der Tafel, allerdings kleinen For-
mats, befindet sich in der National Gallery Nr. 1317,
das sposalizo darstellend. Dieselbe Scene kommt dann
noch einmal in Nr. 1109 vor; und diese letztere ist
bezeichnet Nicholaus Bonachursi de Senis me pinxit.
Wir kennen einen Maler Bonacorso, der 1347 die
Jakobusfresken im Dom von Pistoja gemalt hat. Möglich,
dass er der Vater des Niccolo ist, in welch letzterem
wir den Meister der Dresdner Tafel mit hoher Wahr-
scheinlichkeit sehen dürfen.
Die primitiven Italiener
in der Dresdner Galerie.
52
wieder auftauchten. Anders ausgedrückt: Giotto steht
einem Michelangelo unendlich näher, als es Botticelli
oder Verrocchio thun. Auch Lionardo lässt sich eher
an Simone Martini, als an die Ateliergenossen seiner
Jugend angliedern. Freilich wussten die Späteren
das mit sieghafter Klarheit auszusprechen, was die
Frühen nur stammelnd und tastend eroberten. Aber
die Gemeinschaft ist vorhanden.
Fast alle Sammlungen, in denen primitive Italiener
vorhanden sind, enthalten mehr Arbeiten der siene-
sischen als der florentiner Schule. Das liegt nicht am
Zufall des heutigen Kunstmarktes, sondern am Bestand
überhaupt. Das kleine mobile Altarbild - und um
dieses handelt es sich beim Export meist - wurde
in Siena mehr begehrt als in Florenz. Namentlich
der Klappaltar des Hausandachtsbildes hat in Siena
seine eigentliche Heimat. Siena ähnelt darin Venedig,
dass in diesen beiden Städten, wo die Freude am
intimen Schmuck früh lebendig ist und man das
Blitzende mehr liebte als das Grosszügige, der Schmuck
für das Privatzimmer viel früher begehrt wurde als in
Florenz. Das florentiner Trecento-Bild ist fast aus-
nahmslos für die Kirche bestimmt. Ferner erringt in
Florenz die grosse einheitliche Tafel oder die drei-
teilige des Triptychons schon früh den Sieg über jene
primitivere Form, nach der eine mittlere Hochtafel
von einer Menge kleinerer Bilder rechts und links und
unten umgeben wurde. Giotto und Oreagna hatten
zu glücklich im grossen geschaffen, als dass man es
am Arno noch lange mit Kleinigkeiten gewagt hätte.
Dagegen behält in Siena das kleine Format noch
lange den Vorrang; das macht sich noch am heutigen
Bestand bemerkbar.
Ich beginne aus diesen Gründen mit den sie-
nesischen Trecentisten in Dresden. Duccio ist nicht
vertreten; was von seinem Hauptwerk im Palazzo
Saracini in Siena, in Berlin und im englischen Privat-
besitz verstreut ist, ist wohl das einzige, was überhaupt
je wird erreichbar sein. Die vielen unter seinem oder
gar Guido's Namen gehenden Madonnen sind durchweg
spätere Schularbeit. Auch Simone Martini fehlt, von
dem Berlin und London ebenfalls nichts aufzuweisen
haben. Dagegen ist die Schule der Lorenzetti, die nach
Simone's Weggang nach Avignon in Siena die herr-
schende war, durch ein ganz hervorragendes Bild
vertreten, das ich freilich weder Pietro noch Ambrogio
selbst geben möchte, wohl aber einem unmittelbaren
Schüler Ambrogio's. Denn dessen Hauptbild, das, einst
für das Hospital S. Maria Agnese in Siena gemalt,
heute in der florentiner Akademie hängt, bildet die
Voraussetzung und das Muster für die Nr. 27 der
Dresdner Galerie, deren Katalog es ganz richtig schon
der Schule Ambrogio's zugewiesen hat, ohne jedoch
auf den Zusammenhang mit diesem wichtigen Bild auf-
merksam zu machen. Es ist die 1342 gemalte schöne
presentazione al tempo, deren leuchtende Kraft und
malerische Behandlung neben dem zierlichen Spiel
reichster architektonischer Formen auch das unvor-
bereitete Auge sofort beeindrucken. Ambrogio hat
dann die Komposition ähnlich, aber bescheidener in
einem Altarbild in Massa maritima wiederholt;
Petrocchi giebt in seinem kürzlich erschienenen Büch-
lein über Massa maritima, dessen reiche Kunst aus
dem 13. bis 15. Jahrhundert dadurch erst bekannt
geworden ist, eine kleine Abbildung dieses Bildes.
Das Dresdner Bild ist, ebenso wie das schöne Bild
Bartolos di Fredi im Louvre, eine Nachbildung des
Originals dieser Altartafel. Weder das aristokratische
Geschlecht noch die Leuchtkraft seiner Kostüme ist
dem Schüler geglückt. Aber der Tempel ist weiträumig
und hoch, ein kuppelbedecktes Octogon mit Umgang,
das unwillkürlich an das Florentiner Baptisterium er-
innert. Dagegen ist die Kuppel der des Sieneser
Doms nachgebildet. In den acht dreieckigen Auf-
sätzen über den Mauern befinden sich Medaillons;
dazwischen standen als Pfeilerbekrönung einst ver-
goldete Statuen, von denen leider nur noch zwei
erhalten sind. Neben der ernst und dunkel geklei-
deten Maria sticht das leuchtende Gelb von Joseph's
Rock lebhaft ab; der greise Simeon wiederum trägt
ein metallisch schillerndes Gewand von seidigem
Schimmer, gegen den das Rot des Futters stark sich
abhebt. Auch die Gestalten hinter Simeon, nament-
lich der Hohepriester mit der Mitra (sie) enthalten
sehr zarte farbige Klänge. Man beachte die Zu-
sammenstellung der Farben über den Händen des
Hohenpriesters: roter Mantel, weisses Kleid, grünes
Mantelfutter, der Dreiklang der italienischen Tricolore.
Endlich ganz rechts im Umgang die erst hervor-
tretende, die Rolle feierlich enthüllende alte Matrone
Hanna, eine fast antike Gestalt, wie sie der Meister
Ambrogio so gern malte. Diese Hanna überbietet
die entsprechende Gestalt auf Ambrogio's Bild in
Florenz. Hier ist es eine feinknochige, hagere, lange
Gestalt mit porträtmässigen Zügen, in der wir gern
die Äbtissin des Spedaletto, d. h. die Stifterin erkennen
möchten; in Dresden ist es die hundertjährige Pro-
phetin von grandioser Typik. Endlich noch die
Gruppe von Diener und Dienerin, die bei Maria und
Joseph nie fehlen. Denn die Heiligen des Trecento
sind vornehme Leute, die nicht allein auf die Strasse
gehen. An solchen Nebenscenen, wie dem Gespräch
dieser servi, deren kurzer Sinn die feierliche Tempel-
stunde nicht zu würdigen weiss, entzündet sich im
Trecento die Liebe zum Genre. Bei Ambrogio's
Hospitalbild fehlen die Statisten noch; hier sind sie
in echter Nonchalance beigesellt.
Die Tafel, die mit dem alten Rahmen aus einem
Stück besteht, ist ein Hausandachtsbild, wahrschein-
lich gestiftet bei der Taufe des Erstgeborenen und
Stammhalters der Familie. Sie ist jedenfalls nach 1342
entstanden. Das Bild wurde 1874 in Rom erworben.
Ein Pendant zu der Tafel, allerdings kleinen For-
mats, befindet sich in der National Gallery Nr. 1317,
das sposalizo darstellend. Dieselbe Scene kommt dann
noch einmal in Nr. 1109 vor; und diese letztere ist
bezeichnet Nicholaus Bonachursi de Senis me pinxit.
Wir kennen einen Maler Bonacorso, der 1347 die
Jakobusfresken im Dom von Pistoja gemalt hat. Möglich,
dass er der Vater des Niccolo ist, in welch letzterem
wir den Meister der Dresdner Tafel mit hoher Wahr-
scheinlichkeit sehen dürfen.