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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Hevesi, Ludwig: Wiener Brief, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0081
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

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Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstr. 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 10. 30. Dezember

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Ver-
lagshandlung keine Oewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haas enstein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

WIENER BRIEF

Von Ludwig Hevesi

Die Wochen vor Weihnachten bringen immer
reges Leben in unsere Ausstellungsräume. Auch jetzt
sind mehrere Ausstellungen zu erwähnen, die reich-
lichen Genuß boten. Vor allem die der Sezession. Sie
hat, wie jedesmal, einen leitenden Gedanken, und
zwar diesmal echt malerischer Natur. Es ist eine
spezifische Farbenausstellung, und zwar förmlich zu-
sammengestimmt, wie von der nämlichen Palette weg.
Die Maler, die da zusammenkommen, etliche zum
erstenmal in Wien, haben eine gemeinsame Vision
der farbigen Welt und jene »primäre« Darstellungs-
methode, die gleich von der Farbe ausgeht, um mit-
unter auch schon wieder bei der Farbe aufzuhören.
Wir sehen Besnard, Luden Simon, Oaston La Touche,
Jacques-Emile Blanche, die Spanier Hermen Anglada-
Camarasa und Ramon Casas, den jungen Brüsseler
Constant Montald, dann Wilhelm Trübner und den
Münchener Christian Landenberger. Es ist wie ein
Panorama farbiger Vorgänge, zu bloß farbigen Zwecken.
Und um diese als Gesamteindruck zusammenzufassen,
ist der ganze Raum (von Architekt Leopold Bauer)
im Sinne der äußersten Übersichtlichkeit gestaltet.
Ein großer quadratischer Mittelsaal, von drei langen
Vierecksälen umlagert, mit breiten Durchblicken, so
daß man immer in allen vier Sälen zugleich ist. Aus-
stattung ganz enthaltsam, ohne dekorative Zwischen-
rufe, wie man in unserer obstruktionslustigen Zeit
sagen darf.

Von Besnard sieht man zunächst einige Halb-
Decolletes voll feinsten Reflexzaubers. Weiße Wäsche
und zinnoberhaltiger Fleischton, modernisierter Rubens,
übersteigert im Sinne unserer optischer empfindenden
Zeit. Es ist ja mit unserer Netzhaut, wie mit dem
Film des Photographen: beide werden, bei wachsen-
den Sehansprüchen der Menschen, von Jahr zu Jahr
lichtempfindlicher. Wie Besnard von Rubensschen
Momenten wimmelt, sieht man übrigens auch der
jungen Dame in »Rückkehr vom Bade« an. Haltung
von Kopf und Schultern, dann die dunkle Arabeske
von Gewand in ihrem großen Wurf um die blanke
Blöße her, erinnern plötzlich an die malerische Geberde
der Helene Fourment im Pelz. Auch das lebensgroße
Sitzbildnis der Frau Besnard ist da. Schwarze Toilette,
Profil, elektrischweiße Seitenbeleuchtung. Man ist

sofort an Bonnats Porträt seiner Mutter erinnert, und
Bonnat war und ist doch ein guter Bourgeois. Deut-
lich hört man, wie die Damen der Familie sich bei
den Malern alle modernen Experimente entschieden
verbitten und so »solid« als möglich in ihrem Salon
hängen wollen. Von Luden Simon ist das beste
Stück ein Bildnis des Malers Blanche. Er sitzt in
seinem Atelier, von goldgerahmten Bildern umgeben
und auch das Bild selbst ist altgolden umrahmt. Sein
Lehnstuhl ist auch gelb, der Fleischton ebenfalls. Das
ganze Bild ist eine vornehme Harmonie in Gelb, von
feinem Grau durchhaucht. Gaston La Touche bringt
reizende Farbenspiele von traumhafter Kühnheit. Ein
»Theätre-Concert«, ganz von der Feuerluft der Rampe
umlodert, mit energischen Silhouetten von Fräcken
und Zylindern, dazwischen allerlei Froufrou und un-
bestimmt aufblinkende Decolletes. Wer hätte solches
früher zu malen gewagt. Ein anderes Bild heißt
»Schumann«. Träumerische Musikzimmerstimmung
mit düsterem Durchschuß. Es ist bezeichnend, daß
jetzige Maler häufig in die Musikgeschichte hinein-
greifen. Früher gaben die Komponisten Töne zur
Poesie her, jetzt liefern die Maler Farben zu den
Tönen. So malte Klimt Schubert und sogar der
Italiener Balestrieri den rassefremden Beethoven, eine
Rührstückszene, deren Abdrücke sich über die ganze
Welt verbreitet haben. Ein großes Bild La Touches
heißt »Faunstochter«. Ein reich bestellter Souper-
tisch mit farbig verhängten Girandoles und mitten
darauf, unter Blumen und Früchten hingegossen, ein
nacktes Weib. Das Motiv ist phantastisch, aber doch
nicht so aus der Luft gegriffen, als man glauben
möchte. In den siebziger Jahren wurde bei einem
hochgestellten Herrensouper zu St. Petersburg die
fesche Pariser Schauspielerin Deveria in solchem
Kostüm wie ein dressierter Hummer auf silberner
Schüssel aufgetragen. Eine piece de resistance . . .
ohne Widerstand.

Von J. E. Blanche sind achtzehn Bilder vereinigt.
Er ist wohl am bekanntesten durch die zahllosen Dar-
stellungen jenes kleinen Mädchens (der Maurice
Barresschen »Berenice«), vor dem Empirespiegel, der
richtigen psyche, im englischen Kinderstubenstile ge-
kleidet, Greenaway-Biedermeier. Ein Figürchen, das
an hölzerne Groschenpuppen erinnert, mit schwarz
hinlackierten Scheiteln und rot aufgemalten Wangen-
rosen. In allen Variationen kindlichen Existierens hat
 
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